Schön tot: Ein Wien-Krimi (German Edition)
Zweizimmerwohnung in Soho war nicht immer einfach. – Kennen Sie New York?“
„Ja, recht gut sogar. Eine tolle Stadt!“
„Er wohnte über einer Bar in der Greene Street, an der Grenze zwischen Soho und Tribeca. Die beiden Zimmer waren klein und die Wände dünn. Wenn er Besuch von einer seiner Frauen oder von seinen Musikerkollegen bekam, flüchtete ich auf die Feuerleiter und beobachtete das Getümmel unten auf der Straße. Ich verbrachte mehr Abende auf dieser Feuerleiter als in meinem Bett. Mein Leben als passive Beobachterin gefiel mir schon damals. Ich bin und bleibe eben ein Balkon-Muppet. Ich fühlte mich wohl in Soho. Hatte bald Arbeit in der Küche eines kleinen vegetarischen Restaurants. Fand dann sogar einen besser bezahlten Job als DJ in einem Single-Club für Lesben. Tagsüber spielte ich Mädchen für alles für eine alte, schwerreiche und exzentrische Lady auf der Upper East Side. Und ich unterrichtete Deutsch und Französisch an einer Privatschule.“
„Französisch?“
„Ich bin mehrsprachig aufgewachsen. Schauen Sie nicht so verblüfft, Herr Doktor. Viele Roma sind drei- oder gar mehrsprachig. Ich spreche Englisch, Französisch, Ungarisch und Romanes. Allerdings beherrsche ich Romanes nicht schriftlich. Zumindest nicht perfekt. Aber ich bin ja auch keine wirkliche Romni. Meine Großmutter flüchtete 1938 nach Ungarn. Mein Großvater mütterlicherseits war ein ungarischer Pferdehändler. Dank seiner guten Beziehungen überlebten die beiden die Verfolgungen im faschistischen Ungarn. Leider starb er lange vor meiner Geburt. Nach seinem Tod in den späten 50er-Jahren ging meine Oma zurück zu ihrer Großfamilie, oder besser gesagt zu den wenigen Verwandten, die den Völkermord der Nazis an den Sinti und Roma überlebt hatten. Sie waren mittlerweile nach Wien gezogen und hatten sich hier als Teppich- oder Gebrauchtwarenhändler niedergelassen. Sie wurde eine Puri Daj – was nichts anderes als Großmutter heißt und bedeutete, dass sie die Aufgaben des Ältesten übernahm. Sie leitete den Altenrat, mit dem sie gemeinsam alle wichtigen Beschlüsse fasste. Nach dem Glauben der Roma haben Frauen übernatürliche Kräfte, die sie zu diesem Amt befähigen. Ich habe sie sehr geliebt und oft besucht, als ich klein war. Meine Großmutter war eine ziemlich imposante Erscheinung. So groß wie ich und mindestens hundert Kilo schwer. Sie konnte nicht nur aus der Hand lesen und die Karten aufschlagen, sondern kannte auch Methoden, um unfruchtbaren Frauen zu Kindern zu verhelfen. Sie braute sogar Liebestränke.“
„Sie entsprach also allen Klischeevorstellungen von einer Zigeunerin“, sagte Dr. Mader.
Ich lachte gezwungen, weil ich mich gerade dafür verflucht hatte, nicht richtig aufgepasst zu haben, als mir meine Großmutter einst die Zusammensetzung dieser Liebestränke verraten hatte. Ich hätte Dr. Mader zu gern so ein Zauberelixier verabreicht.
„Das Wichtigste für die Zigeuner sind ihre Kinder, vor allem die Buben. Meine Großmutter sorgte dafür, dass auch meine Mutter nicht wie alle anderen Roma-Kinder automatisch in eine Sonderschule gesteckt wurde, sondern die Volks- und Hauptschule besuchen konnte“, fuhr ich fort. „Nach der Schule fand meine Mutter einen Job als Verkäuferin in einem Modegeschäft in der Schönbrunnerstraße. Meinen Vater lernte sie in einer Mittagspause kennen, die sie beide am Wienfluss verbrachten. Soviel ich weiß, hat sie ihm ihre Jause angeboten, weil er so dünn war …“ Ich hielt inne, schluckte heftig. „Ein paar Monate später hat sie diesen Gadzo, so bezeichnen die Zigeuner einen, der nicht zu ihnen gehört, geheiratet.“
Dr. Mader schien zu bemerken, dass es mir schwer fiel, über meine Eltern zu reden. Er sagte: „Zurück nach New York. Wie lange sind Sie dort geblieben?“
„Bis mir das Geld ausging. Mein Onkel unterstützte mich, so gut er konnte. Mein Großvater väterlicherseits schickte mir öfters einen Scheck. Aber New York ist ein teures Pflaster. Sándor war zwar ein begnadeter Geiger und hatte viele gute Engagements, aber er konnte nicht mit Geld umgehen. Irgendwann hatte er die Nase voll von New York und ging zurück nach Europa. Er lebt jetzt in Südfrankreich, in der Nähe von Marseille. Damit war natürlich auch mein Gastspiel in den USA beendet. Ich verlor die Wohnung, hatte weder eine gültige Aufenthaltsgenehmigung noch eine Green Card. Also verließ auch ich schweren Herzens New York.“
„Endstation Wien-Margareten?“,
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