Schön tot: Ein Wien-Krimi (German Edition)
unangenehm. Offensichtlich versuchte er, unser Gespräch mitzuhören.
„Kennst du diesen Kerl dort drüben?“, fragte ich Tony. „Er starrt mich ständig an.“
„Meinst du das Baby-Face?“
„Nicht so laut“, zischte ich.
„Ignorier diesen Idioten einfach.“
„Das kann ich nicht. In Margareten läuft ein Frauenmörder frei herum. Ich kriege seit zwei Tagen bedrohliche Anrufe. Vielleicht reagiere ich übertrieben. Aber ich bekomme es langsam mit der Angst zu tun.“
Das Lächeln wich aus seinem Gesicht. Machte einem ernsten und besorgten Ausdruck Platz.
Die Selleriecremesuppe im Haasbeisl war eine Delikatesse. Doch als ich dem Baby-Face dabei zusah, wie er die köstliche Suppe schlürfte, verging mir der Appetit. Er starrte mich nach wie vor mit durchdringendem Blick an.
Obwohl ich nicht daran glaubte, dass allein durch Blickkontakt Unheil ausgelöst werden könnte, umfasste ich unwillkürlich das Amulett meiner Großmutter. Ich trug es fast immer um den Hals. Der türkisfarbene Anhänger in Form eines Auges würde mich vor dem bösen Blick schützen, hatte sie behauptet, als sie mir diese Kette zum Schulbeginn geschenkt hatte. Vielleicht sollte ich auch rasch meinen Sweater umdrehen? Onkel Sándor hatte mir geraten, meine Kleidungsstücke verkehrt herum anzuziehen, um mich vor bösen Blicken zu wappnen. Ich hatte ihn damals ausgelacht.
Der Gedanke an meinen Onkel stimmte mich traurig. Seit er in Südfrankreich lebte, meldete er sich höchstens zwei- oder dreimal im Jahr bei mir. Und ich erreichte ihn telefonisch sowieso nie.
Während Tony auf mich einredete, beobachtete ich diesen gebückt dasitzenden Mann mit dem zurückweichenden Haar. Seine seltsam farblosen Augen waren blutunterlaufen. Sein blassblondes Haar war extrem kurz geschnitten. Bundesheerhaarschnitt, fiel mir dazu ein.
Nachmittags klatschten und tratschten die Leute aus dem Grätzl im Haasbeisl, genauso wie bei uns im Cuadro oder beim Silberwirt. Offensichtlich hatten die Beisl die Bassena abgelöst. Die meisten Gäste hatten bereits gegessen. Gönnten sich jetzt noch einen Kaffee oder ein Glas Wein.
Ich war nervös. Die bedrohlichen Anrufe gestern Nacht hatten mich lange nicht einschlafen lassen. Wie gebannt starrte ich auf die zum Teil rot gestrichenen Wände. Plötzlich bildete ich mir ein, dass die Farbe zu rinnen begann, dass Blut auf die alten Fotos und gerahmten Zeitungsartikel tropfte. Ich war wohl nicht mehr ganz dicht.
Erleichtert registrierte ich, dass sich Georg Haas zu uns gesellte. Er sprach mit Tony über die Morde. Da beide weniger darüber wussten als ich, hörte ich ihnen nicht zu, sondern beobachtete weiter den dicklichen Mann am Nebentisch aus den Augenwinkeln.
Erst als Georg sagte: „Wir hatten sogar schon mal einen Toten im Lokal“, widmete ich meine Aufmerksamkeit wieder den Männern an meinem Tisch.
„Der Besitzer eines Messerschleifergeschäfts fiel eines Tages beim Schnapsen tot vom Sessel. Dabei hatte er ein gutes Blatt gehabt …“
Er konnte die Geschichte nicht zu Ende erzählen. Herr Schrammbetrat das Lokal und fragte, ob er sich zu uns setzen dürfe.
Georg versprach mir, die Ohren offen zu halten und mich sofort zu informieren, wenn er irgendetwas Verdächtiges hören sollte. „Bei mir verkehren vor allem alteingesessene Margaretner, und die wissen oft mehr, als sie der Polizei zu erzählen bereit sind“, sagte er. Dann nahm er die Bestellung von Herrn Schramm auf und verschwand in die Küche.
Kommerzialrat Schramm war ein charmanter Mann. Ich unterhielt mich gern mit ihm. Wunderte mich allerdings, dass er Tony demonstrativ ignorierte.
Als Helmut Schramm erwähnte, die ermordete Künstlerin sei eine Freundin der Geliebten von Dr. Bischof, wurde Tony sichtlich nervös. Die Stimmung war auf den Nullpunkt gesunken, als mein Handy läutete.
„Orlando“, rief ich hocherfreut. „Wo bist du? Haben sie dich endlich gehen lassen?“
Geduldig hörte ich mir die ausführliche Schilderung seines Martyriums an. Nach einer Weile unterbrach ich ihn doch und sagte so laut, dass es jeder im Lokal hören konnte: „Deine Freilassung hast du allein dem Bezirksvorsteher Wimmer zu verdanken.“
18
Zehn Minuten später saß Orlando an unserem Tisch und schwatzte uns die Ohren voll mit seinen Knast-Erlebnissen. Herr Schramm wechselte bald an den Nachbartisch. Tony ging auf die Toilette.
„Stell dir vor, ich habe mich verliebt“, sagte Orlando, kaum hatten die beiden uns allein gelassen, leise zu
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