Schön und ungezähmt
Angewohnheit, nicht so verwöhnt und hochmütig zu sein.
Verdammt noch mal, seine Gedanken mussten auf jeden Fall außerhalb des Schlafzimmers bleiben, sobald sie sich um Miss Marston drehten.
»Nicht, wenn man so eine Bemerkung jemandem gegenüber macht, der die Musik ernst nimmt«, erklärte sie. »Ich fürchte, das ist bei mir der Fall.«
Faszinierend. Auch er nahm die Musik ernst, obwohl er diese Leidenschaft nur mit wenigen Leuten teilte. Für ihn war es ein privates Vergnügen, sich der Schönheit einer Kadenz hinzugeben. Musik war Balsam für seine geschundene Seele. »Ist das so?«
»Ja, wirklich.« Die Überzeugung in ihrer Stimme war unüberhörbar, und es schien ihm, als wollte sie noch etwas hinzufügen. Doch sie schwieg.
Die Luft roch bereits nach Herbst, stellte er fest, und er versuchte, seine Sinne auf etwas anderes zu konzentrieren als auf die junge Frau neben ihm. Es roch leicht nach verrottenden Blättern und nach feuchter Erde, und dieser Geruch wurde von einem Hauch Rauch überlagert. Der Duft von Herbst auf dem Lande. London stank die meiste Zeit weniger erbaulich. Als er jünger war, hatte er es kaum abwarten können, Rolthven zu verlassen und in die Stadt zu fahren. Aber jetzt empfand er die friedvolle Umgebung ansprechender, als er sie in Erinnerung hatte. Vielleicht schwand ja seine jugendliche Rastlosigkeit mit zunehmendem Alter.
Konnte es sein, dass er sich zu einem weniger ruhelosen, eher gesetzten Mann wandelte? Nahm es solche Ausmaße an, dass er sogar ein berechtigtes Interesse an einer jungen, unverheirateten Lady entwickelte?
Nein. Er vertrieb augenblicklich diesen Gedanken, weil vor seinem inneren Auge plötzlich Bilder von einem Rosenpfad und
einer Kathedrale voller Hochzeitsgäste auftauchten, dicht gefolgt vom Bild lächelnder, plumper Babys, die vor seinen Augen tanzten. Er dachte kurz nach. Miss Marston brachte all diese Dinge mit sich, und er war längst nicht so weit, seine Freiheit aufzugeben.
Im Übrigen konnte er sich nur allzu deutlich an die entgeisterte Miene von Lady Marston erinnern, als es Damien gelang, für ihre Tochter einen anderen Begleiter ins Spiel zu bringen. Vielleicht wusste sie von der Kluft zwischen Robert und ihrem Mann. Oder vielleicht war es auch nur sein Ruf, der sie so entsetzte. Was es auch war, Roberts Werben um sie – wenn er je diesen Wahnsinn in Erwägung zog – wäre nicht willkommen.
»Wie lange wird es wohl dauern, bis Eure Mutter eine Entschuldigung gefunden hat, uns zu folgen?«, fragte er belustigt und verbarg nicht den Zynismus, der in seiner Stimme mitschwang. Er war im Grunde ein Realist, aber für den Augenblick wollte er bloß Rebeccas Profil betrachten.
»Ich bin überrascht, dass sie nicht schon hier draußen aufgetaucht ist.« Sie schüttelte den Kopf. »Wir sind allerdings gut zu sehen, daher denke ich, dass sie uns beobachtet.«
Er mochte ihre Ehrlichkeit. Vielleicht war es das, was ihn so anzog. Schönheit gepaart mit einem erfrischenden Mangel an Doppelzüngigkeit. Sie war ungekünstelt. Nicht eitel, nicht einfältig, nicht oberflächlich.
»Vielleicht sollten wir ihre Sorgen zerstreuen. Ich werde Euch zurück ins Haus bringen, ehe sie einen Schlaganfall erleidet.« Er warf einen Blick auf die ausgedehnte Steinterrasse, und ein Lächeln umspielte seine Lippen. »Obwohl dies kaum ein bequemer Ort wäre, um mich an Euch zu vergehen, habe ich das ungute Gefühl, sie fürchtet, dass ich es dennoch versuchen könnte.«
Vielleicht sollte Lady Marston sich zu Recht Sorgen machen …
Rebecca lachte erstickt. »Sicher wäre für einen Wüstling Eures Rangs ein Steinfußboden nicht abschreckend.«
Man könnte das natürlich tun, wenn man wollte. Er hatte einige Erfahrung darin, eher ungeeignete Orte für kleine Stelldicheins zu nutzen, aber das würde er kaum laut aussprechen.
»Habe ich so einen Ruf?«, fragte er und bot ihr den Arm. Sie wussten beide, dass dies eine rhetorische Frage war.
»Ich gebe nicht allzu viel darauf, was geredet wird«, wandte sie ein und widersprach damit ihrer vorhergehenden Bemerkung.
In gewissem Maße hörte jeder, was geredet wurde, ermahnte er sich.
Der Klang einer tiefen Stimme, die unmissverständlich eisig klang, unterbrach ihre Unterhaltung. »Rebecca. Ich habe gehört, du fühlst dich nicht wohl. Vielleicht solltest du doch lieber nach oben gehen.«
Rebecca zuckte zusammen. Nicht heftig, aber Robert spürte, wie sich ihre Finger plötzlich durch seinen Jackenärmel in seinen
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