Schönbuchrauschen
steht, und dort stand es die ganze Nacht. Um Sie herum parken immer dieselben Nachbarn. Der Fahrer, der sich zu dicht vor Sie hingestellt hat, hat sein Cabrio später abgestellt. Jeder von Ihnen hat sozusagen seinen Stammplatz. Die Autos können von den Häusern her eingesehen werden, allerdings liegen die meisten Wohnräume eben nicht an der Straßenseite, und das Viertel ist nachts sehr wenig belebt.«
Er machte eine Pause und fragte dann: »Wollten Sie dem noch etwas hinzufügen?«
»Eigentlich nicht. Mir fällt nichts ein. Mein Leben ist doch so normal. Ich weiß nicht, warum …«
Wieder verlor sie die Fassung.
»Es ist so absurd«, brachte sie heraus. »Warum passiert das mir, ausgerechnet mir?«
»Ich weiß es nicht. Ich kann Ihnen leider nicht weiterhelfen, aber ich verspreche Ihnen, dass wir alles Mögliche tun, um die Erklärung zu finden. Ich würde Ihnen übrigens raten, psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Das steht Ihnen jetzt zu.«
Andrea Lorenz schaute blicklos an Kupfer vorbei und nickte leicht mit dem Kopf.
»Psychologische Hilfe«, sagte sie leise, »vielleicht brauche ich das wirklich. Es kann nicht so weitergehen.«
»Und wenn Ihnen noch irgendetwas einfallen sollte oder Ihnen irgendetwas besonders Angst macht, dann müssen Sie mich sofort anrufen, auch außerhalb meiner Dienstzeit. Die spielt in so einem Fall keine Rolle.«
Kupfers Worte schienen einen beruhigenden Eindruck auf die junge Frau gemacht zu haben. Als sie wegging, wirkte sie doch ein wenig gefasster als bei ihrer Ankunft.
Kupfer schaute ihr nach, wie sie graziös mit leicht schwingenden Hüften zur Treppe ging.
Er hatte nicht den Eindruck gehabt, dass ihm Andrea Lorenz Theater vorspielte. Ihre Ahnungslosigkeit war echt.
Kupfer setzte alle Hebel in Bewegung. Er erkundigte sich nach dem Vorbesitzer des Passats. Es war ein achtzigjähriger biederer Rentner, dem der Anschlag absolut nicht gegolten haben konnte. Im Viertel, wo Andrea Lorenz wohnte, gab es viele junge Paare mit Kindern, junge Beamte, höhere Angestellte, Geschäftsführer kleinerer Unternehmen, Ärzte, Lehrer. Es waren durchweg Vertreter der Mittelschicht, und niemand, aber auch gar niemand war polizeibekannt. Kupfers sämtliche Ansätze, in ihren Lebensumständen eine Spur von dunklen Geschäften zu finden, verliefen sich im Leeren.
Die Kfz-Abteilung des Landratsamts wurde bemüht, einen alten Passat wie den von Andrea Lorenz in diesem Wohnviertel zu suchen oder ein ähnliches Fahrzeug mit einer Kfz-Nummer, die man mit der ihren hätte leicht verwechseln können. Aber auch so etwas war nicht zu finden. Es ergab sich einfach nichts, was auch nur den schwächsten Ansatz für eine Erklärung geliefert hätte.
19
Kupfer stand vor einer Mauer. Seine Anfragen über die Herkunft von Gerlinde Krumms plötzlichem Reichtum blieben ohne zufriedenstellendes Ergebnis. Das habe alles seine Richtigkeit, wurde ihm gesagt. In den letzten zwei Monaten seien mehrere fünf- und sechsstellige Beträge auf dem Konto der alten Dame eingegangen, alle seien von einem Nummernkonto in der Schweiz gekommen, und Kupfer wisse ja, dass das Bankgeheimnis für die Schweizer eine heilige Kuh sei. Wenn das Guthaben dort nicht eindeutig als Fluchtkapital zu erkennen sei, bestehe für die Schweizer überhaupt keine Verpflichtung, über die Kontenbewegungen oder gar den Kontoinhaber Informationen weiterzugeben.
»Mal rein theoretisch gesprochen«, setzte der Filialleiter Armin Schröpp zu einer Belehrung an, als ginge es um eine gottgegebene Tatsache, »wenn es hier um Erträge gehen sollte, die an der Wall Street, in Hong Kong oder etwa in Singapur erwirtschaftet worden sind, dann sind die Schweizer uns gegenüber zu überhaupt nichts verpflichtet.«
»Erwirtschaftet?«, fragte Kupfer.
»Ja, erworben durch Kauf und Verkauf, also erwirtschaftet. Wieso?«
»So habe ich das Wort nie verstanden. Aber danke, man lernt ja nie aus.«
Der Filialleiter lächelte selbstgefällig, legte seinen Terminkalender auf sein Clipboard und signalisierte das Ende des Gesprächs, indem er seinen Füllfederhalter einsteckte.
»Aber was mit den sechsstelligen Beträgen alles bezahlt worden ist, das müssen Sie mir wohl sagen«, verlängerte Kupfer den Termin.
Schröpp griff sich ans Doppelkinn und zögerte kurz.
»Ja, natürlich, selbstverständlich«, sagte er dann, und Kupfer beobachtete, wie sich für einen kleinen Moment seine Beißmuskulatur spannte. Er drehte seinen Stuhl dem Monitor zu und
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