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Schönbuchrauschen

Schönbuchrauschen

Titel: Schönbuchrauschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietrich Weichold
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versuchte sie mit Kupfer ein normales Gespräch zu beginnen.
    »Ja, schon. Zum Glück musste sie zurückstoßen.«
    »Wieso ? Sonst hätt’s bumm … also … wär’s explodiert? Wieso?«
    »Das ist ein bisschen kompliziert«, antwortete Kupfer abweisend.
    »Technisch kompliziert?«
    »Hmm«, brummte er, »technisch eigentlich nicht.«
    »Wie dann?«
    »Sie sind aber heute wieder mal neugierig.«
    »Na ja, so was kommt ja auch nicht alle Tage vor.«
    Sie saß aufrecht, als hätte sie ein Lineal verschluckt, und sah Kupfer erwartungsvoll an.
    »Also gut«, seufzte er. »Haben Sie eine ungefähre Vorstellung, wie eine Handgranate aussieht?«
    »Klar, ich habe doch das Foto in der Akte gesehen.«
    »Dann stellen Sie sich mal das Vorderrad als Zifferblatt einer Uhr vor. Okay?«
    Paula Kussmaul nickte und zeichnete sofort einen Kreis auf ihren Notizblock. Sie machte ein konzentriertes Gesicht wie eine strebsame Schülerin im Mathematikunterricht.
    »Und jetzt stellen Sie sich vor, dass die Handgranate auf der Höhe der Zwölf links von diesem Zifferblatt befestigt ist.«
    Paula Kussmaul malte ein Ei an diese Stelle, denn sie hatte mitgekriegt, dass der Waffenspezialist von einem Rumpel-Ei geredet hatte.
    »In das Profil von dem Autoreifen war genau auf zwölf Uhr eine Art Dübel eingesteckt worden, und von da lief ein dünner Draht zum Sicherungsring der Handgranate. Jetzt, Frau Kussmaul, aufgepasst! Was passiert, wenn das Auto vorwärts fährt, das heißt, wenn sich das Rad im Uhrzeigersinn dreht?«
    Sie zog einen Strich von dem Ei zur Zwölf-Uhr-Position der imaginären Uhr. Dann machte sie mit dem Zeigefinger eine Kreisbewegung im Uhrzeigersinn.
    »Ach du meine Güte, der Draht zieht den Sicherungsstift waagrecht heraus und … nicht auszudenken!«
    »Und die Granate explodiert. Und deswegen hat sie Glück gehabt, dass sie zuerst zurückstoßen musste. Verstanden?«
    Paula Kussmaul starrte auf ihre Zeichnung. Ihr Zeigefinger beschrieb einen Kreis im Gegenuhrzeigersinn.
    »Klar«, sagte sie nach einer Weile. »Wenn sich das Rad rückwärts dreht, dann kommt erst wieder Zug auf den Draht, wenn der Dübel auf neun Uhr oder acht Uhr ist und den Draht fast senkrecht nach unten zieht.«
    »Eben. Und weil er jetzt im rechten Winkel zu dem Sicherungsstift zieht, verkeilt sich der Stift, geht nicht raus und der Draht reißt den Dübel aus dem Reifen. Und genau das ist passiert.«
    »Da hat sie aber wirklich Glück gehabt.«
    »Genau. Nur macht sie ihr Glück nicht glücklich. Es bringt sie an den Rand des Wahnsinns. Stellen Sie sich vor, das würde Ihnen passieren. Erst mal haben Sie keine Ahnung, warum Ihnen jemand etwas antun wollte, und dann kommen Sie nur davon, weil so ein blöder Typ sie zugeparkt hat. Wer da nicht ins Spinnen kommt, muss vorher schon verrückt gewesen sein. Wir müssen den Fall so schnell wie möglich klären. Das sind wir der armen Frau schuldig.«
    Paula Kussmaul zog die Brauen hoch.
    »Aha«, sagte sie.
    »Was aha?«
    »Sie wollen also den Fall doch ganz gern übernehmen?«
    »Ja, hab ich doch schon. Wieso denn nicht?«
    »Wegen heute kurz vor Mittag. Ich meine, ich hätte da jemand schimpfen hören, besser noch: fluchen hören.«
    Ganz angenehm war es Kupfer nicht, seinen Stimmungswandel vorgehalten zu bekommen. Er lächelte resigniert und zuckte mit den Achseln.
    »Was geht mich mein Geschwätz von heute Vormittag an. Das Schmieröl soll halt weiterstinken. Da kann man ja so oder so keinen mehr retten. Das hat Zeit, und wenn die Staatsanwaltschaft noch so drängt. Der Handgranatenanschlag hat jetzt einfach Vorrang. Der Frau muss geholfen werden.«

18
    Andrea Lorenz hatte sich für das Gespräch mit Kupfer den Vormittag freigenommen. Sie brachte Mia zu ihrer Tagesmutter, dann fuhr sie in die Talstraße zur Polizeidirektion. Kupfer hatte die schmale Akte eben noch einmal überflogen, als sie gegen halb neun dort ankam.
    Schon von der Treppe aus sah Kupfer, wie sie an der Pforte nervös hin- und herging. Sie war nicht sehr groß und trug ihr blond gefärbtes Haar offen, so dass es über den Kragen ihres graublauen Wollmantels fiel. Ihre schwarzen Hosen hatte sie in ihre braunen Stiefel gesteckt. Sie schaute Kupfer unsicher entgegen und folgte ihm in sein Büro, wobei sie sich nach allen Seiten umsah, als wollte sie sich vergewissern, dass sie nicht beobachtet oder gar verfolgt wurde.
    Sie saß Kupfer aufrecht gegenüber und spielte nervös mit ihrem Autoschlüssel. Sie hatte ihr Gesicht gepudert,

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