Schönbuchrauschen
Schönbuch-Gymnasium in Holzgerlingen ihr Abitur, begann dann eine Ausbildung zur Krankenschwester und arbeitete eine unbestimmte Zeit in der Uni-Klinik in Tübingen. Weitere Angaben fehlten. Mit ihren weniger als fünfzig Friends stellte sie sich als eine mäßige Facebook-Nutzerin dar und hatte schon lange nicht mehr über dieses Netzwerk kommuniziert.
»Sehr ergiebig ist das nicht«, meinte Kupfer.
»Jetzt warte doch. Da ist auch noch die Friends-Liste.«
Dabei klickte er auf die eingeklammerte 47 hinter »Friends«, und die gesamte Liste öffnete sich in der Mitte des Bildschirms.
»Siehst du, wen wir da finden? Andrea Lorenz. Und wenn die Relation nicht relativ alt ist, dann will ich Hugo heißen. Jetzt geben wir mal unsere Freundin Andrea ein.«
Auch Andrea Lorenz war keine sehr aktive FacebookNutzerin, aber ihre Daten gaben genug her. Ebenso alt wie Laura Hensler, hatte sie mit ihr zusammen in Holzgerlingen am Schönbuch-Gymnasium ihr Abitur gemacht. Auch ihr Foto zeigte sie als Mittzwanzigerin. Ihre Friends-Liste zählte nur dreißig Namen.
»Sie waren Schulkameradinnen.«
»Beste Freundinnen, die jetzt zusammenziehen?«
»Schon möglich. – Und war’s das schon?«, fragte Kupfer.
»Nein, im Gegenteil. Jetzt fangen wir erst an. Vielleicht finden wir einen Lifestyle-Exhibitionisten, der die beiden kannte. Manchmal musst du dich im Kreis herumklicken, um etwas zu finden. Ein bisschen Geduld lohnt sich immer.«
»Zwei Freundinnen aus einer Schönbuchgemeinde, beide in medizinischen Berufen, eine nachweislich mit dem Toten aus dem Schönbuch liiert – man könnte fast meinen, wir kommen der Sache näher«, sinnierte Kupfer vor sich hin. »Andererseits kann ich mir nicht vorstellen, dass die Lorenz so blöd ist, dass sie bei der Hensler einziehen würde, wenn sie tatsächlich Dreck am Stecken hätte. Aber wer weiß? Mach mal weiter.«
Feinäugle verglich die beiden Friends-Listen.
»Da schau her. Da gibt es einen Jürgen Halbritter, der kommt bei beiden vor.«
Dabei handelte es sich um Dr. med. Jürgen Halbritter, Jahrgang 1974, der 1993 am Eberhard-Ludwigs-Gymnasium in Stuttgart Abitur gemacht hatte und in Tübingen ab 1994 Medizin studierte. Allem Anschein nach war er sehr bedacht darauf, seinen Facebook-Account auf dem neuesten Stand zu halten. Man konnte erfahren, wie begeistert er von seinem neuen Blackberry war, dass er unbedingt auf das nächste Grönemeyer-Konzert gehen müsse, weil er das letzte aus dienstlichen Gründen versäumt habe, dass er im August zum Kitesurfen in Tarifa gewesen sei – »Andalusien ist cooool« – und im März unbedingt zum Heliskiing in die Rocky Mountains wolle. Dafür suche er allerdings noch einen Mitreisenden. Und außerdem habe er – dies musste die Weltöffentlichkeit unbedingt wissen – endlich seinen ersten Halbmarathon geschafft, »uffff«. Daneben bot Dr. med. Jürgen Halbritter 120 Fotos an.
»Dieser Typ ist nicht ganz unbescheiden.«
»Ein aufgeplusterter Gockel ist das! Es fehlt bloß noch, wie viele Frauen er in letzter Zeit flachgelegt hat. Für diese geballten Erfolgsnachrichten ist er eigentlich schon zu alt. Das sollte er doch nicht mehr nötig haben.« Feinäugle schüttelte verständnislos den Kopf.
Unter Dr. Halbritters Fotos fanden sie ein interessantes Bildchen, das wohl älteren Datums war. Es stammte aus seiner Tübinger Zeit und zeigte eine nette Gruppe junger Leute, die vergnügt auf einem Stocherkahn saß. Es war vom Bug aus aufgenommen, so dass man Halbritter im Muskelshirt sah, wie er eben, leicht nach vorn gebeugt, mit der Stoßstange zu einem kräftigen Schub ansetzte. Im Hintergrund waren der Hölderlinturm und die Trauerweide bei der Anlegestelle zu sehen.
»Ein Sommertag in Tübingen. Das sollten wir uns auch einmal gönnen. Dieser Halbritter könnte uns ja spazierenstochern,« witzelte Kupfer.
Rechts und links von dem kräftigen Stocherer saß jeweils ein Pärchen. Die beiden Herren hatten einen Arm um ihre Damen gelegt, hielten ein halbvolles Sektglas in der freien Hand und prosteten, wie auch die Damen, dem Fotografen zu. Die vier Personen waren wohlbekannt. Überraschend war nur die Paarung: Ferdinand Lipp hatte Laura Hensler im Arm, während Theo Krumms Besitzerstolz sich auf Andrea Lorenz bezog.
»Und da tut dieses verlogene Weibsstück, als hätte sie Ferdinand Lipp nicht gut gekannt. Wir werden ihr das Bildchen zeigen müssen.«
»Und wer ist diese hübsche zierliche Frau ohne Partner, diese
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