Schönbuchrauschen
Granatengehäuses zusammen aus der Karosserie ein Sieb. Andrea Lorenz wäre am Steuer ihres Wagens zerfetzt worden, und es war anzunehmen, dass auch die kleine Mia in ihrem Kindersitz auf der Rückbank zumindest lebensgefährlich verletzt worden wäre. Kupfer betrachtete fassungslos das beiliegende Foto.
»Wer sich das ausgedacht hat, hat entweder keine Ahnung von dem, was er anrichtet, oder ist eine absolut skrupellose Bestie«, schloss Kupfer angewidert, nachdem er den Bericht Paula Kussmaul vorgelesen hatte.
»Und das auch noch in einer Wohnsiedlung! Wenn man sich vorstellt, wie viele Leute das hätte treffen können!«
»Ich mag mir das gar nicht vorstellen. Sonst geht es mir noch wie Theo Krumm. Seine Mutter erzählte mir, dass er nach manchen schlimmen Einsätzen die Bilder nicht mehr los geworden ist und zur Flasche griff.«
Paula Kussmaul runzelte die Stirn und schaute ihrem Chef nachdenklich in die Augen, wobei sie leise mit dem Kopf nickte.
»Ich weiß, was Sie denken«, sagte sie.
»Was denk ich?«
»Sie denken, dass Sie einen Bericht angefordert haben, den Sie lieber nicht gelesen hätten. Solche Bilder hat man nicht gern im Kopf.«
»So ungefähr hätte ich es auch formuliert.«
Gegen fünf Uhr griff Kupfer nach dem Foto von der Stocherkahnfahrt, das Feinäugle ausgedruckt hatte, und fuhr nach Döffingen zu Erika Krumm. In der Dämmerung waren dicke Wolken heraufgezogen. Bis auf das erhellte Küchenfenster direkt neben dem Eingang lag das Haus im Dunkeln. Erika Krumm war ebenso überrascht wie verunsichert, als sie Kupfer vor ihrer Tür stehen sah.
»Guten Abend, Frau Krumm. Entschuldigen Sie bitte, dass ich mich nicht angemeldet habe, und ich gehe auch sofort wieder, wenn ich zu einem unpassenden Zeitpunkt komme. Es ist so: Ich habe ein paar Fragen, die möglichst bald geklärt werden sollten.«
Die Frau schaute Kupfer mit ängstlicher Anspannung an und gab ihm die Hand.
»Kommen Sie herein«, sagte sie und ging drei unsichere Schritte voraus. Dann drehte sie sich um und fragte etwas verlegen: »Macht es Ihnen etwas aus, wenn wir uns in die Küche setzen? Ich bin eben erst heimgekommen, und im Wohnzimmer ist es noch kalt.«
»Gerne, wie Sie möchten.«
Sie führte Kupfer in ihre kleine Wohnküche, wo es wohlig warm war, und bot ihm einen Platz auf der gepolsterten Eckbank an. Wortlos nahm sie die Glaskanne mit frischem Kaffee aus der Kaffeemaschine und stellte sie vor Kupfer auf die rotweißkarierte Wachstuchdecke.
»Sie trinken doch eine Tasse mit, oder?«, fragte sie, ohne Kupfer anzusehen.
»Ja, danke.«
Dann setzte sie sich ihm gegenüber und goss umständlich den Kaffee ein. Erst als sie ihm die Tasse hinüberreichte, nahm sie Blickkontakt zu ihm auf. Sie schaute ihm schweigend in die Augen. Nur ihr Spiel mit dem Kaffeelöffel verriet ängstliche Anspannung. Das Gespräch musste beginnen.
»Frau Krumm, ich kann Ihnen leider noch keine Antwort geben, wenn Sie mich nach dem Täter fragen. Und doch stehen wir nicht mehr am Anfang unserer Ermittlungen. Wir sind auf ein paar Umstände gestoßen, die helfen können, die aber auch noch weiter aufgeklärt werden müssen. Und dabei können Sie uns unterstützen.«
Erika Krumm nickte verständnisvoll.
»Wie stehen Sie persönlich zu Theos Großtante?«
»Zu Tante Gerlinde? Spielt die denn eine Rolle?«
»Möglicherweise. Aber das ist alles noch sehr unklar.«
»Mit ihr habe ich sehr wenig zu tun. Sie war die Tante meines Mannes. Ich habe sie bei Familienfesten ab und zu getroffen. Sehr nahe waren wir uns nie. Inzwischen ist sie in einem Pflegeheim untergebracht und kennt mich wahrscheinlich gar nicht mehr. Ich war ungefähr vor einem Vierteljahr das letzte Mal dort, da konnte ich mich mit ihr kaum mehr verständigen.«
»Aber Theo war doch öfter bei ihr?«
»Ja. Theo schon. Theo war ihr Ein und Alles. Seine Großeltern starben, als er noch klein war, und da war Tante Gerlinde dann seine Ersatzoma. Wir konnten ihn immer wieder zu ihr bringen, manchmal übers Wochenende und, wenn er Ferien hatte, auch einmal ein paar Tage in der Woche. Sie hatte mehr Zeit für ihn als wir, das muss ich zugeben. Uns war das auch ganz recht. Der Junge war bei ihr gut aufgehoben. Mei Buole, hat sie immer gesagt, wenn sie von ihm redete. Den Theo hat sie immer erkannt. Er konnte auch noch mit ihr reden.«
»Kannten Sie auch ihren Bruder, der in Brasilien war?«
»Was für einen Bruder? Sie hatte keinen Bruder, nur eine Schwester, und die ist vor ein
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