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Schönbuchrauschen

Schönbuchrauschen

Titel: Schönbuchrauschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietrich Weichold
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sei Mitternacht und nicht kurz vor Mittag. Zwei junge Ausländer spielten Billard, ein dritter stand an einem Spielautomaten. Niemand schien OW wahrzunehmen. Er stellte sich vor einen Spielautomaten und warf einen Euro ein. Der Automat schluckte seine Münze, ratterte etwas, zeigte eine Schelle, ein Blatt und ein Herz und verstummte. So ging es mehrere Male, bis OW kein Kleingeld mehr hatte. Er blickte sich suchend um. In einer Ecke gab es so etwas wie eine Kasse. Er ging hin und wechselte einen Zehner. Dann spielte er weiter, gewann zwischendurch ein paar Euro, die er aber wieder verlor. Und so ging es hin und her, bis er endlich den Eindruck hatte, beim augenblicklichen Stand nicht allzu viel verloren zu haben, so dass er jetzt den Zeitpunkt gekommen sah, wo er aufhören könne. Er spielte nicht weiter, blieb aber im Lokal, holte sich eine Cola, stand herum wie bestellt und nicht abgeholt und nahm kleine Schlückchen aus der Flasche, als wollte er sich an ihr zwei Stunden festhalten. Niemand sprach ihn an. Die Billardspieler lösten sich an den Automaten ab, kamen und gingen. Schließlich war es schon halb zwei, und OW wusste nicht, warum er sich länger hier aufhalten sollte.
    Auf dem Heimweg merkte er, dass er die ganze Zeit sehr angespannt gewesen war. Und was hatte er erreicht? Er war müde und leicht benebelt, hatte Hunger und musste sich eingestehen, dass er genauso gut hätte zu Hause bleiben können. Mit niemandem, der ihn weiterleiten könnte, würde er ins Gespräch kommen, wenn er nicht deutlich signalisieren würde, woran er interessiert war. Wenigstens das wurde ihm klar. Außerdem hatte er verschämt bemerkt, dass kein anderer Spielhallenbesucher auch nur annähernd so schäbig gekleidet war wie er. Mit seiner jetzigen Kostümierung würde er keinen Erfolg haben.
    Gegen seine Gewohnheit erzählte er nichts, als er nach Hause kam und beantwortete Emmas Fragen ausweichend. Trotzdem ahnte sie, warum sein Unternehmen fehlgeschlagen war, und lächelte spöttisch, als er sich rasierte und seine Nägel putzte.
    »Und du solltest deine neue Brille ruhig wieder aufsetzen«, war ihr einziger Kommentar.
    Aber OW ließ sich nicht entmutigen. Wegen eines Fehlschlags allein wollte er nicht lockerlassen. Er wartete zwei Tage. Dann zog er sich so an wie immer, schmückte aber seine Hände mit zwei protzigen Ringen, die er vor vielen Jahren einmal als Accessoire für ein Faschingskostüm gekauft hatte.
    »Ich ziehe heute noch einmal los«, sagte er nach dem Mittagessen.
    »Wie du meinst. Ich kann dich nicht abhalten. Pass aber auf dich auf.«
    OW nickte nur und ging zum Bahnhof.
    In Böblingen strebte er zielsicher den größten Zeitungskiosk an und suchte nach den einschlägigen Presseprodukten der Waffenszene. Er war ganz überrascht, was er in dem Zeitungsregal fand:
DWJ – Deutsches Waffen Journal
Euro 5,45;
Visier
Euro 5,50;
Clausewitz
Euro 4,90;
Militär und Geschichte
, Euro 3,50 – und dann ein eingeschweißtes Heft mit CD, das
Kriegsfakten und Geheimnisse
betitelt war und 12,90 kostete. Das alles konnte man einfach so kaufen? Er war erstaunt. Nie hätte er geglaubt, dass solche Presseprodukte, die ja nicht ganz billig waren, sich auf dem Markt behaupten würden. Obwohl er das politisch bedenklich fand, stimmte es ihn momentan optimistisch. Wonach er suchte, dachte er nämlich, würde man ihm ungefähr ansehen, wenn er sich mit solcher Lektüre im richtigen Lokal an die Theke setzte. Er hoffte, nun nicht mehr danach gefragt zu werden, was er für einer sei, sondern danach, was er denn suchte.
    Er kaufte sich ein
Deutsches Waffenjournal
und eine Ausgabe von
Militär & Geschichte
, letzteres, um unmissverständlich darauf hinzudeuten, dass er nicht an Jagdwaffen interessiert war.
    Und nun wollte er sich Zeit lassen. Er klapperte ein paar Kneipen ab, trank da ein kleines Bier, dort einen Espresso, dann noch ein Bier, zwischendurch eine Cola, musste immer wieder auf die Toilette, hatte schon lange keinen Durst mehr und wäre auch diesmal am liebsten wieder bald nach Hause gefahren. Aber er hielt durch.
    Zwischen fünf und sieben war in den Kneipen am meisten los. Viele Männer kamen direkt von der Arbeit auf ein schnelles Bier, viele schienen einander zu kennen, begrüßten sich knapp, kippten einen Kurzen und ein kleines Bier und verschwanden nach zwanzig Minuten wieder. OW meinte zu spüren, dass er sich hier in einer besonderen Szene befand, die er aber nicht beschreiben konnte. Kurz nach sieben ließ er es

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