Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schönbuchrauschen

Schönbuchrauschen

Titel: Schönbuchrauschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietrich Weichold
Vom Netzwerk:
los.«
    »Schön wär’s. Personalmangel. Niemand hat Zeit.«
    »Aber ich.«
    »Du? Bist du sicher, dass dir die Hitze hier drin bekommt?«
    »Absolut.«
    »Spinner.«
    Dass Kupfer ihn einen Spinner genannt hatte, konnte OW nicht abhalten. Jetzt gerade erst recht! Der graue Schatten, den sein Dreitagebart auf seine weichen winterbleichen Wangen legte, ließ ihn zwar weniger gepflegt aussehen, aber nicht so verwahrlost, wie er es gern gehabt hätte. Er hatte auch in den letzten drei Tagen seine Nägel weder geputzt noch geschnitten und sich, entgegen seiner sonstigen Gewohnheit, sogar für Dreckarbeiten im Haushalt erwärmt – zu Emmas nicht geringer Verwunderung.
    Er holte seinen alten Parka aus dem Schrank mit den abgelegten Kleidern, wo er auch seine ausgebeulte braune Kordhose fand, die er eigentlich nur noch zur Gartenarbeit anziehen wollte. Und ein paar ausgelatschte braune Halbschuhe gab es dort auch noch.
    Schwierig war die Sache mit der Brille. Er vertauschte sein modernes randloses Modell mit einer älteren, mit der er natürlich nicht so gut sehen konnte. Bedenklicher noch war allerdings die Tatsache, dass die Brille zwar altmodisch, aber keineswegs billig aussah. Aber sie musste es tun, eine andere hatte er nicht.
    All das legte er an, stellte sich vor den Spiegel, band sich einen ausgefransten roten Schal um, setzte eine schwarzwollene Dockermütze auf, die ihm etwas zu klein war, und sagte zu Emma: »Ich zieh jetzt los.«
    »Wo willst du hin?«
    »Nach Böblingen, mit der S-Bahn, weißt du doch.«
    Fassungslos musterte sie ihn von oben bis unten und sagte dann energisch: »So läufst du mir nicht in der Stadt herum.«
    »Hier doch nicht. Nur in Böblingen.«
    »Nicht einmal bis zum Bahnhof.«
    »Dann musst du mich hinfahren.«
    Emma fuhr ihn zum Bahnhof, drehte kopfschüttelnd um und fuhr, ohne sein Abschiedswinken zu beachten, nach Hause zurück.
    OW kaufte sich im Zeitungsladen eine Bildzeitung und setzte sich in den Zug.
    Er war sich nicht schlüssig, wo er mit seiner Suche beginnen sollte. Kupfer hatte sein Vorhaben nicht ernst genommen und deswegen nicht mehr gesagt, als dass er sich in den Kneipen des Böblinger Bahnhofsviertels ja ruhig einmal amüsieren könnte, falls ihm das tatsächlich Spaß machen sollte. Und vielleicht wären auch die Spielhallen ganz unterhaltsam. Also wohin?
    OW überquerte die Straße und steuerte die erste beste Kneipe an.
    Es war gegen elf. Ein stämmiger Angestellter mit rasiertem Kopf und doppeltem Ohrring stellte eben die Stühle wieder auf den Boden und guckte unfreundlich, als OW sich auf einen Barhocker setzte.
    »Morgen«, grüßte OW.
    Keine Antwort. Der Mann nahm systematisch einen Stuhl nach dem anderen vom Tisch, und erst als das ganze Lokal wieder ordentlich bestuhlt war, stellte er sich OW gegenüber hinter die Bar.
    »Und?«
    »Ein Bier, bitte.«
    »Pils oder Export?«
    »Weizen.«
    »Hell, dunkel, Hefe?«
    »Ein dunkles Hefe.«
    »Hättst du ja gleich sagen können.«
    OW faltete die Bildzeitung auseinander und tat so, als ob er lesen würde. Dann bekam er sein Bier. Abends zu Hause mochte er das dunkle Hefeweizen ganz gerne, aber morgens um elf in einer schmuddeligen Kneipe eigentlich nicht. Er nippte daran, stellte es auf die Seite und brütete weiter über der Zeitung. Der Mann hinter der Bar polierte Gläser und warf OW immer wieder einen kritischen Blick zu.
    »Wartest du auf einen?«
    »Nee, wieso?«
    »Dein Bier wird schal.«
    OW setzte das Glas an und nahm einen langen Schluck.
    »Ziemlich ruhig hier«, sagte er dann.
    »Was hast du erwartet? Die wo arbeiten, haben keine Zeit, und die andern kein Geld. Das lief hier schon besser, kann ich dir sagen.«
    OW schob die Unterlippe vor und nickte verständnisvoll.
    »Und du? Hartz IV oder Schicht?«
    »In Rente.«
    »Ah. Und früher?«
    »Maler. In einer Lackiererei. Karosserien und so was.«
    »Hab ich auch mal gemacht. Beim Daimler. Scheißjob. Hab ich aufgesteckt. Da bin ich doch lieber hier. Wo warst du?«
    »Hm, in einem Betrieb – in so einem Betrieb, der Sonderlackierungen macht. Nicht hier. In so einem Kaff bei Nagold.«
    »Ah.«
    OW vertiefte sich wieder in die Bildzeitung, um weiteren Fragen auszuweichen, trank schnell sein Bier aus, zahlte und ging.
    In der Bahnhofstraße sah er, dass die Spielhalle schon geöffnet war. Da er schon einmal hier war, ging er hinein. Der Raum war zur Straße hin abgedunkelt und künstlich beleuchtet. Als die Tür hinter OW zufiel, hätte er meinen können, es

Weitere Kostenlose Bücher