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Schönbuchrauschen

Schönbuchrauschen

Titel: Schönbuchrauschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietrich Weichold
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über den Parkplatz gehuscht. Nun lag er wieder in dunklem Grau.
    OW blickte auf seine Zeitung, ohne wahrzunehmen, was da stand. Jedes Mal, wenn er hinter sich jemanden hörte, zuckte er so gespannt zusammen, dass er über seine eigene Reaktion erschrak. Er wollte wenigstens nach außen hin ruhig wirken, gelassen wollte er sein, aber er konnte seine Unruhe nicht unterdrücken und ärgerte sich über sich selbst. Er hatte Angst davor, dass die Augen der anderen Gäste sich auf ihn richteten und alle seine Anspannung erkannten.
    Der starke Kaffee, den er zu dieser Stunde gar nicht gewöhnt war, tat ein Übriges. Er fing an zu schwitzen. Er rieb seine Hände an den Hosenbeinen, aber sie wurden nicht trocken.
    War Kupfer wirklich gekommen, oder hatte er sich getäuscht? Die Ungewissheit quälte ihn. Am liebsten hätte er sich umgedreht, nach Kupfer geschaut und mit ihm Blickkontakt aufgenommen. Aber er wusste, was er damit riskiert hätte, und gab sich Mühe, weiterhin den interessierten Zeitungsleser zu mimen.
    Eine Viertelstunde war vergangen, er hatte seinen Kaffee ausgetrunken und wartete immer noch darauf, angesprochen zu werden. Er stand auf und brachte seine Tasse zur Geschirrrückgabe. Dabei sah er aus dem Augenwinkel, dass Kupfer beim Haupteingang am anderen Ende des Lokals saß und ihn im Auge hatte. Das beruhigte ihn. Er holte sich eine Flasche Mineralwasser und ging an seinen Platz zurück.
    OW hätte nicht sagen können, ob der Mann eben erst das Rasthaus betreten oder ob er ihn schon längst beobachtet hatte. Er sah nur plötzlich eine schlanke Gestalt vom Burger-King-Tresen her mit einem Tablett in der Hand auf sich zukommen. Er schaute kurz auf: ein Trucker wie im Bilderbuch. Hageres unrasiertes Gesicht, langes braunes Haar, ein Ohrring und eine Tätowierung am Hals, die OW erst auf den zweiten Blick als den Schwanz eines schwarzgrünen Skorpions identifizierte, dessen Körper von einem Sweatshirt mit einer grellen Aufschrift verdeckt war. Darüber trug er eine abgetragene Jeansjacke.
    OW hielt den Blick gesenkt. Er konnte beobachten, wie die knochigen Finger seines Gegenübers nach den Pommes frites und dem Colaglas griffen. Er hörte ihn kauen und roch eine Mischung aus Fettdunst, Zigarettenrauch und ungewaschener Kleidung, die ihn anwiderte. Es kostete ihn Überwindung, minutenlang diesem Fremden weniger als nur einen Meter gegenüber sitzen zu bleiben. Endlich verschwanden die letzten Pommes frites von dem Teller.
    »Darf ich mal in deine Zeitung schauen?«, kam es mit einem Akzent, den OW nicht bestimmten konnte.
    »Gerne.«
    Er schob ihm die Zeitung zu. Der Trucker schien die Zeitung durchzublättern.
    »Schau, wo ich hingehe, und komm nach einer Weile nach.«
    Damit stand er auf und verließ das Lokal. OW sah ihn zwischen den Lastwagenreihen verschwinden. Dann stand er auf und folgte ihm.
    Als OW dem Trucker durch den Nebenausgang ins Freie folgte, wartete Kupfer ungefähr eine halbe Minute, bis er das Lokal durch den Haupteingang verließ. Er blieb einen Moment in dem schwachen Lichtschein stehen, der durch die Fenster nach außen drang. Dann ging er langsam auf den LKW-Parkplatz zu. Er hatte sich gleich bei seiner Ankunft orientiert und wusste, dass die Trucks, linker Hand im spitzen Winkel zur Durchfahrtsrichtung nebeneinander geparkt, rechts in Reihe hintereinander, eine dunkle Gasse von gut hundert Metern Länge bildeten, in die er aber bei dem sich verdichtenden Nebel höchstens dreißig Meter hineinsehen konnte. Kupfer ging zehn Schritte, stand still und lauschte. Aber das ständige Rauschen des Verkehrs übertönte jeden anderen Laut. Wo waren OW und der Trucker hingegangen? Stehenzubleiben erschien ihm sinnlos. Also ging er leise Schritt für Schritt weiter. Immer wieder verharrte er einen Moment.
    Er war noch im ersten Drittel der Gasse, als ein Motor losbrummte und eines dieser häusergroßen Ungeheuer sich rückwärts aus der Parklücke manövrierte. Kupfer musste ein paar Schritte zurücktreten, um nicht die schmutzige Wolke einatmen zu müssen, die sich schnell in der Gasse ausbreitete. Er hörte, wie der Fahrer schaltete, und schon rollte der Truck die Gasse entlang. Es gelang Kupfer gerade noch, seine Kamera zu zücken und wenigstens die Beschriftung des Lasters aufzunehmen, ehe der Nebel das Bild verwischte.
    Für einen Moment befürchtete er, dass OW mitgenommen worden war. Dann wäre die Lage völlig unübersichtlich geworden. Aber er verwarf den Gedanken wieder, weil er keinen

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