Schönbuchrauschen
Moment.«
Dann ging sie in ihr Wohnzimmer und kam mit einem Fotoalbum zurück. Sie blätterte darin herum.
»Da, schauen Sie her, ein Klassenfoto von 1992. Da waren sie gerade sechzehn. Und in der ersten Reihe steht sie, klein und zierlich, aber der blitzt die Gescheitheit aus den Augen.«
Kupfer verglich die beiden Fotos. Die langen ungeschnittenen Haare des Mädchens auf dem Klassenfoto konnten nicht darüber hinwegtäuschen: Es war dasselbe ovale Gesicht mit der schmalen Nase und den weitgestellten dunklen Augen.
Weil Kupfer ganz sichergehen wollte, bat er um eine Lupe und betrachtete das Bild noch genauer. Viel gab das Klassenfoto nicht her. Trotzdem glaubte er, auf dem Gesicht einen Anflug des ironischen Lächelns zu erkennen, mit dem das Mädchen auf dem Stocherkahn den Fotografen gemustert hatte.
»Das ist sie. Zweifellos. Wissen Sie, wie sie zu der Gruppe gehörte?«
»Keine Ahnung. Ich weiß bloß, dass mein Theo vorm Abitur mit ihr gegangen ist. Und dann war’s auf einmal aus. Ich hab nicht einmal gewusst, dass sie sich in Tübingen noch einmal begegnet sind.«
»Hat sie auch Medizin studiert?«
»Ich weiß nicht. Aber ich glaube nicht. Das hätte ich dann doch erfahren.«
Kupfer verabschiedete sich und fuhr nach Hause. Er hätte mit seinen neuen Erkenntnissen zufrieden sein können. Aber der trostlose Schmerz dieser Frau bewegte ihn.
Er war froh, dass er sich nicht dazu hatte hinreißen lassen, ihr etwas von den finanziellen Machenschaften ihres Sohnes zu sagen. Es wäre für sie zu viel gewesen. Für schonungslose Offenheit war es noch zu früh, falls sie überhaupt jemals angezeigt sein sollte.
23
Kupfer und OW trafen sich nach längerer Zeit wieder einmal in der Böblinger Mineraltherme. Sie hatten einen günstigen Zeitpunkt erwischt. Als sie die Finnische Sauna betraten, saßen dort nur zwei jüngere Frauen, die sofort aufstanden und der Türe zustrebten.
»Wir wollen Sie aber nicht vertreiben«, sagte OW.
»Nein, nein, keine Angst, Sie vertreiben niemanden. Wir sind vielleicht schon länger hier drin, als für uns gut ist«, sagte die eine lachend und schloss die Tür hinter sich.
»Fein«, sagte OW, »jetzt hat man hier seine saubere Ruh und muss sich kein Gequatsche anhören.«
Kupfer brummte zustimmend, und die beiden machten sich auf der zweitobersten Stufe lang. Eine ganze Weile war Stille.
»Heute redest du aber gar nichts«, sagte OW nach einer Weile.
»Du aber auch nicht.«
»Bei mir gibt es ja auch nicht viel zu erzählen, oder willst du wissen, was ich heute eingekauft habe oder was Emma morgen kocht?«
Keine Antwort. Der Schweiß rann über die Haut, der Sand rann durch die Sanduhr, zehn Minuten vergingen.
»Dir geht doch wieder etwas im Kopf herum«, klopfte OW auf den Busch.
»Hmm«, kam es von Kupfer.
»Und was?«
»Der Handgranatenanschlag auf diese MTA«, sagte er und stützte sich auf den Ellbogen, so dass er seinen Gesprächspartner sehen konnte. »Ich komme damit nicht weiter. Weit und breit um sie herum gibt es niemand, der in eine so finstere Angelegenheit verwickelt sein könnte, dass ihn jemand hätte hochgehen lassen wollen. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, wo diese geballte kriminelle Energie herkommt.«
»Hast du mir nicht schon einmal von einem ähnlichen Fall erzählt? Wie seid ihr damals auf den Täter gekommen?«
»Über die Herkunft der Handgranate. Übrigens war das damals auch ein jugoslawisches Ei.«
»Na siehste!«
»Ja, es geht wohl wieder nur über die Herkunft«, sagte Kupfer, der gleich verstand, was OW meinte. »Nur müssen wir diesmal hier suchen, hier im Umkreis. Ich glaube nämlich nicht, dass sich jemand, sagen wir mal in Frankfurt an der Oder, in Bautzen oder irgendwo an der tschechischen Grenze, eine Handgranate besorgt, um bei uns hier einen Anschlag zu machen. Der oder die Attentäter waren ja allem Anschein nach nicht sehr clever, sonst hätten Sie den Mechanismus so eingerichtet, dass das Ei auf jeden Fall hochgeht. Solche einfachen Geister, meine ich, benutzen immer das, was unmittelbar vor ihrer Nase liegt. Meine Frage lautet also, wo ist die Szene, in der man ohne weiteres für dreißig oder fünfzig Euro eine Handgranate bekommt, und da will mir nichts einfallen.«
»Vielleicht macht das Spaß, so etwas herauszufinden«, sagte OW, der nach wie vor auf dem Rücken lag und zur Decke hoch sprach.
»Mir nicht. Keine Zeit. Ich habe ja noch andere Fälle an der Backe.«
»Schick ein paar junge Kollegen
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