Schönbuchrauschen
Sinn ergab. Weitergehen, weitersuchen, aufmerksam bleiben – allein darum ging es jetzt.
Da donnerte am Ende der Gasse ein Motor los. Kupfer sah die Rücklichter aufleuchten und rannte los. Er kam so nahe heran, dass er die Beschriftung des Lkws lesen konnte. Es war ein serbokroatischer Truck, der mit erstaunlicher Schnelligkeit zurückstieß, das Vollgas dröhnen ließ und röhrend vom Platz rollte.
OW rannte ihm nach, konnte noch ein Foto schießen und stand dann hustend im Gestank der Auspuffgase. Er schnappte nach Luft und musste sich gleichzeitig ein Taschentuch vor Mund und Nase halten. Dann ging er zurück zu der Parklücke, die der Lkw freigemacht hatte. Dort lag OW auf dem Boden, auf der Höhe des Führerhauses und einen halben Meter neben dem Vorderrad eines riesigen Autotransporters, ein zusammengekauertes Häuflein Elend – mit Reisetasche.
»OW, was ist? Hörst du mich?«
Er rüttelte ihn an der Schulter. OW stöhnte und drehte ihm das Gesicht zu. Das Blut lief aus seiner Nase über Mund und Kinn. Er konnte nichts sagen und nickte nur leicht mit dem Kopf. Kupfer half ihm auf und setzte ihn in sein Auto. Dann machte er sofort Meldung: weißer Lkw mit blauroter, wahrscheinlich serbokroatischer Beschriftung auf der A 81, südliche Fahrtrichtung, so schnell wie möglich anhalten, kontrollieren und festnehmen wegen Körperverletzung –, Vorsicht, bewaffnet!
Dann brachte er OW zur Notaufnahme des Herrenberger Krankenhauses. Er wartete, bis OW verarztet war und er ihn nach Hause bringen konnte.
»Dein Auto bring ich dir dann«, sagte Kupfer, als sie in seinem Wagen saßen. Nun, wo OW versorgt war und den Schock überwunden hatte, konnte er erklären, was schiefgelaufen war. So weit zurückgebeugt, wie es die Kopfstützen zuließen, streckte er seine verpflasterte Nase in die Luft und setzte langsam, Satz für Satz, Kupfer ins Bild.
»Der muss noch einen Aufpasser dabeigehabt haben«, begann er. »Der Typ wartete außer Sichtweite vom Lokal auf mich. Dann ging er sehr langsam vor mir her. Er hat nichts geredet. Ich fand es schon komisch, dass er sich so viel Zeit ließ. Zwischen all den Trucks kriegte ich ziemlich Schiss. Ich war darauf gefasst, dass noch einer auftaucht. Dann wäre ich abgehauen. Aber da war keiner. Er geht also zu seinem Fahrzeug und winkt mir zu. Ich gehe zu ihm hin. In dem Moment klingelt sein Handy, und er nimmt das Gespräch an. Er sagt nur ein Wort, das ich nicht verstehen kann. Dann dreht er sich zu mir um und haut mir die Faust in den Magen. Ich knicke zusammen und kriege sein Knie ins Gesicht. ›Laku noć, staro‹, sagt er noch. Und dann habe ich nur noch gehört, dass er weggefahren ist, wie von Weitem. Dann warst du ja schon da.«
»Du kannst von Glück sagen, dass du mit einer dicken Nase davonkommst. Das hätte viel schlimmer ausgehen können. Das sag ich dir.«
»Ich brauch im Moment keinen Kommentar«, knurrte OW, legte seinen Kopf wieder zurück gegen die Nackenstütze und schloss die Augen.
25
Der Fahrer hatte sich an diesem Abend nicht mehr weit abgesetzt. Er war nur die siebenundfünfzig Kilometer bis zum Rasthaus Neckarburg gefahren und wollte dort seine Ruhezeit verbringen. Noch vor Mitternacht wurde er von der Autobahnpolizei geweckt. Ehe er sich’s recht versah, saß er in Handschellen im Polizeiauto. Die Beweise, sechs jugoslawische Splitterhandgranaten und drei russische Stielhandgranaten, die man unter seiner Koje fand, ließen ihm keinen Raum für Ausflüchte.
Ehe Kupfer am Samstagvormittag zur Vernehmung des Truckers in die Polizeidirektion kam, hatte Polizeihauptmeisterin Dunja Kilić dank ihrer Sprachkenntnisse schon sehr viel in Erfahrung gebracht. Mit ein paar wohlüberlegten Sätzen war es ihr gelungen, Hrvoje Krajic seine Lage zu verdeutlichen. Hier würde ihn niemand herausholen, schon gar nicht der Zagreber Spediteur, für den er fuhr. Der würde schnell einen Ersatzmann finden, der den Lkw an seinen Bestimmungsort bringen würde, und ihn seinem Schicksal überlassen. Krajic wusste nur zu gut, dass er in seinem Job auswechselbar war. Wie er der deutschen Polizei beweisen sollte, dass er nur ein kleines Rädchen in einer großen Maschinerie war, wusste er hingegen nicht.
So war er nach kurzer Verstocktheit recht gesprächig geworden. Kupfer überflog die Notizen, die die Polizeihauptmeisterin in einer knappen Stunde niedergeschrieben hatte.
Hrvoje Krajic aus Karlovac war achtunddreißig Jahre alt, verheiratet und hatte vier Kinder. Als
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