Schönbuchrauschen
Erfahrung war die ganze Aktion doch, wenn man sie insgesamt betrachtet.«
»Ja, ja«, sagte Emma etwas resigniert, »wenn du nur immer eine Geschichte zu erzählen hast. Ich lass euch beide jetzt lieber allein.«
Damit verließ sie das Zimmer, und die eigentliche Manöverkritik konnte beginnen.
»Ich will dich nicht auch noch ärgern«, begann OW, »aber wenn ihr euren Einsatz gemacht hättet, als ich …«
»Hör auf«, winkte Kupfer ab. »Dann hätten wir auch nur den Krajic erwischt. Außerdem ist das Schnee von gestern. Was mich jetzt interessiert, ist, warum das schiefgelaufen ist. Wir wissen doch, was Krajic am Telefon gesagt hat. Daran kann es fast nicht gelegen haben.«
»Vielleicht hat er ein Code-Wort benutzt«, mutmaßte OW.
»Sicher nicht auf Deutsch. Was er zu diesem Schraubenlenne gesagt hat, war so einfach. Das kann ich mir nicht vorstellen. Ich müsste unsere Dolmetscherin fragen, ob sie sich an etwas erinnert, was ein Hinweis sein könnte.«
»Vielleicht war es die Sprache selbst. Es könnte doch abgesprochen gewesen sein, dass sich Krajic auf Kroatisch melden muss, wenn er in Schwierigkeiten steckt.«
»Hmm«, machte Kupfer nachdenklich. »Alles möglich. Und trotzdem weiß ich nicht, was ich in dieser Situation hätte anders machen sollen. Irgendwas musste ich ja tun. Wenn er bei seinen nächsten Abnehmern nicht angekommen wäre, hätte das schließlich auch Staub aufgewirbelt.«
»Jedenfalls habt ihr den Krajic. Das ist doch was.«
»Ja, und die Dienstzeit von dem, der ihn gewarnt hat. Den knöpfe ich mir heute Abend noch vor. Und dann müssen wir nach diesem Schraubenlenne schauen.«
»Lenne kommt vielleicht von Leonhard.«
»Könnte sein. Ich lasse morgen mal die Telefonbücher durchforsten.«
Sie entwickelten weitere Theorien zu diesem Fall, bis Emma sie zum Kaffee rief und einen leckeren Apfelkuchen auftischte.
27
Am selben Abend um zehn war die Raststätte fast leer. Kupfer schätzte, dass höchstens zehn Gäste in dem Restaurant saßen, allein oder zu zweit. Hinter der Kaffeetheke stand der junge Mann, den er sprechen wollte. Kupfer hätte ihn nicht wiedererkannt, da er ihn vor zwei Tagen gar nicht beachtet hatte. Nun aber schaute er ihn genau an: Er war knapp zwanzig Jahre alt, groß und schlank. Sein gescheiteltes rotblondes Haar fiel ihm in Strähnen über die Augen, so dass er sie immer wieder nach hinten strich. Trotz dieser tickartig wiederholten Bewegung machte er auf den ersten Blick in seiner Arbeitskleidung eine gute Figur. Das weiße Hemd ließ ihn allerdings noch bleicher wirken, als er ohnehin war.
Kupfer ging die Sache langsam an, indem er sich einen Cappuccino bestellte. Als der junge Mann die Tasse auf die Theke stellte, betrachtete Kupfer seine schmalen Hände. Sie sahen weich aus wie die eines Büromenschen. Aber seine langen Fingernägel waren grau, als hätte er es nicht geschafft, sie ganz sauber zu kriegen, was Kupfer an längst vergangene Zeiten erinnerte. Es war vor fast vierzig Jahren gewesen. Da hatte er sich von seinem spärlichen Gehalt als erstes eigenes Auto einen uralten Käfer geleistet, an dem er länger herumbasteln musste, als er mit ihm fahren konnte. Und wenn er dann zum Dienst hetzte, hatten seine Fingernägel auch so grau ausgesehen.
Kupfer zahlte, blieb an der Theke stehen und nahm den ersten Schluck. Der junge Mann schaute ihn abwartend an, als erwartete er eine weitere Bestellung.
»Hatten Sie nicht auch vorgestern Abend Dienst?«, fragte Kupfer wie nebenbei.
»Ja. Warum?«
»Ist das nicht ein bisschen langweilig, wenn so wenig Kundschaft da ist?«
»Ja, manchmal schon.«
»Und Sie sind auch noch allein hier, oder nicht?«
»Klar. Eine zweite Kraft würde sich um diese Zeit nicht lohnen.«
Kupfer hatte bis jetzt in seiner Tasse herumgerührt und seinen Gesprächspartner kaum angesehen. Nun aber blickte er ihn prüfend an und sagte: »Dann waren Sie das also«, und zog seine Dienstmarke aus der Tasche. »Kriminalpolizei. Bitte weisen Sie sich aus.«
Im ersten Moment stand der Junge wie schockgefroren da, keine tickartige Kopfbewegung mehr, obwohl ihm seine Haare über die Augen hingen. Dann griff er in seine Gesäßtasche und nahm mit zitternden Händen seinen Personalausweis aus dem Geldbeutel.
Es handelte sich um Joachim Drescher, geboren am 17. März 1990 in Böblingen, wohnhaft in Aidlingen.
Schon während Kupfer seinen Ausweis ansah, gewann der Junge seine Fassung zurück.
»Und was wollen Sie von mir?« Seine Frage
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