Schönbuchrauschen
Feinäugle Lemgrubers biometrisches Foto mit dem entsprechenden Antrag ans LKA geschickt, darauf gefasst, ein paar Tage warten zu müssen. Aber schon am übernächsten Tag bekam er eine CD mit Bildern zugestellt. Erfreut griff er zum Telefon und bedankte sich.
»Arg viel ist es nicht, was ich dir schicken konnte«, erklärte der Kollege aus Bad Cannstatt. »Keine Bilder von der rechten Szene, nur vom Fußball. Euer Kunde ist offensichtlich VfBFan. Aber vielleicht nützen euch die Fotos trotzdem was. Jetzt guck sie dir halt mal an. Viel Spaß dabei.«
Wo Lemgruber seine Freizeit verbrachte und sein Geld ausgab, war leicht zu überschauen. Verschiedene Fotos zeigten ihn unter den VfB-Fans in der Mercedes-Benz-Arena, beim Public Viewing auf dem Schlossplatz in Stuttgart, bei Bundesligaspielen in Karlsruhe und Freiburg, bei Motocrossrennen, bei harmlosen Rockkonzerten wie zum Beispiel beim Rock am Ring. Immer wieder tauchte Joachim Drescher neben ihm auf.
»Und?«, fragte Kupfer, der gerade dazukam, als sich sein Kollege durch die erste Hälfte durchgeklickt hatte. »Wie sieht es aus in der rechten Szene?«
»Fehlanzeige. Die beiden sind wohl unzertrennlich. Aber zur rechten Szene gehören sie nicht. Lemgruber und Drescher sind VfB-Fans, falls dich das interessiert. Hoffentlich ist das keine Zeitverschwendung, was ich da …« Dann blieb ihm das Wort im Hals stecken.
»Was ist?«
»Das Foto von der Stocherkahnfahrt. Da, schau, das Mädchen, das wir nicht identifiziert haben, guckt genau in die Kamera.«
Feinäugle machte zusätzlich Lemgrubers Passfoto auf.
»Jetzt haut’s mich aber um. Sie hat das gleiche Gesicht – Lemgruber, Modell weiblich. Wer ist das?«
»’s Judithle, da schau her«, sagte Kupfer überrascht.
»Du kennst die?«
»Nein, aber ich habe dieses Foto doch Erika Krumm gezeigt, und die sagte, das Mädchen sei ’s Judithle. Aber ich habe nicht genau nachgefragt. Mehr weiß ich im Moment auch nicht. Aber morgen klärt sich das.«
Von einem wahren Jagdfieber erfasst, klickte sich Feinäugle durch die restlichen Bilder und wurde noch einmal fündig. Auf einem weiteren Bild, das in einem Fußballstadion aufgenommen worden war, war ein älterer Mann zu sehen, der mit einem Plastikbecher in der Hand seinen Idolen zuzujubeln schien, allem Anschein nach Judiths Vater.
30
»Ich muss Sie unbedingt noch einmal sprechen«, sagte Kupfer zu Erika Krumm am Telefon. Diesmal wollte er nicht unangemeldet vor der Tür stehen.
»Haben Sie ihn immer noch nicht?«, fragte Theos Mutter mit einem halb wehleidigen, halb vorwurfsvollen Unterton.
»Nein, leider nein, aber wir sind dran.«
»Was wollen Sie denn noch von mir wissen?«
»Das kann ich Ihnen nicht am Telefon sagen. Ich muss Ihnen zwei Fotos zeigen. Wann kann ich zu Ihnen kommen? Wann würde es Ihnen passen?«
»Sie brauchen nicht zu mir zu kommen. Ich bin morgen sowieso in der Stadt wegen einem Arzttermin. Da kann ich anschließend bei Ihnen vorbeikommen. Am Spätvormittag. Passt das?«
Kupfer stimmte zu. Ihm war es nur recht, dass er nicht wieder so viel Zeit auf der Strecke lassen musste.
Der Vormittag war sonnig, aber kühl. Als sich Erika Krumm gegen elf an der Pforte der Polizeidirektion meldete, hatte sie rote Wangen und atmete hörbar.
»Sind Sie zu Fuß gekommen?«, fragte Kupfer verwundert.
»Ja, es ist ja nicht so weit vom Bahnhof her, und der Arzt hat gemeint, ich soll mehr zu Fuß gehen. Spazierenlaufen soll ich. Bloß mit wem? Das hat er mir nicht gesagt. Wissen Sie, wenn man so allein ist wie ich, hat man öfters einfach keine Lust.«
»Heute haben Sie ja wenigstens Glück mit dem Wetter. Ist das nicht ein schöner Tag?«, meinte Kupfer, um etwas Unverbindliches zu sagen. Erika Krumm ging nicht darauf ein. Sie schwieg, bis sie Kupfer gegenübersaß.
»Möchten Sie einen Kaffee?«
»Nein, danke, ich bin immer noch ein wenig erhitzt.«
»Oder ein Glas Wasser?«
»Ja, ein Wasser, das wäre gut. Danke.«
Als Kupfer ihr einen Becher Wasser reichte, schluckte sie eine Tablette.
»Zur Beruhigung«, beantwortete sie seinen fragenden Blick. »Seit Theo nicht mehr da ist, finde ich keine Ruhe, ich bin nervös, dann wieder ruhig, aber lustlos. Wissen Sie, es ist ja nicht so, dass Theo mich jeden Sonntag besucht hätte. Aber allein der Gedanke, dass es ihn gab, hat mir schon geholfen. Aber jetzt …«
Sie sah vor sich hin und schüttelte traurig den Kopf.
»Wie ich Ihnen schon am Telefon sagte, arbeiten wir mit aller Kraft an diesem
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