Schönbuchrauschen
Fall«, begann Kupfer ohne weitere Umschweife. »Nur muss ich leider sagen, dass sich bisher wenig geklärt hat. Im Gegenteil, der Fall wird immer komplizierter. Und ich habe mich bei Ihnen gemeldet, weil Sie uns vielleicht an einem wichtigen Punkt weiterhelfen können. Ich habe Ihnen schon einmal dieses Foto gezeigt.«
Kupfer legte das Foto von der Stocherkahnfahrt vor ihr auf den Tisch.
»Und dazu möchte ich Sie fragen, was sie über das Mädchen da im Vordergrund wissen. ’s Judithle haben Sie sie genannt, wenn ich mich richtig entsinne.«
»Ja«, sagte sie, »das ist ’s Judithle. Was ist mit der?«
»Das wissen wir noch nicht. Vielleicht gar nichts. Wir sind bloß in einem anderen Zusammenhang auf das Foto von einem jungen Mann gestoßen, der ihr sehr ähnlich sieht. Da, schauen Sie sich das an.«
Er legte Bernd Lemgrubers Passfoto daneben.
»Den kenn ich auch«, sagte sie sofort, »das ist Bernd Lemgruber. Hat er was angestellt?«
»Wieso fragen Sie das?«
»Ich hab mal gehört, er hätte Schwierigkeiten mit der Polizei. Und jetzt wieder?«
Kupfer nickte.
»Ich darf Ihnen aber nicht sagen, warum. Woher kennen Sie ihn?«
»’s Judithle und der, das sind Halbgeschwister.«
»Ach«, fuhr es Kupfer heraus. Erika Krumm sah ihn verwundert an.
»Sind Sie sicher?«
»Absolut«, sagte Erika Krumm ruhig. »’s Judithle und mein Theo sind miteinander in die Schule gegangen, das hab ich Ihnen ja schon neulich gesagt, aufs Gymnasium, ab der fünften Klasse. Sie hat ja damals schon lang nicht mehr Lemgruber geheißen. Das war nämlich so: Ihre Mutter hat sich vom Lemgruber scheiden lassen und ihren Mädchennamen wieder angenommen. Sie hat das alleinige Sorgerecht zugesprochen bekommen und nicht wollen, dass die Judith nach ihrem Vater heißt. Deswegen hießen Mutter und Tochter wieder Schwenk. Der Lemgruber, das war kein Rechter, der hat gesoffen. Schon kurz nach der Scheidung hat er eine geheiratet, die in Böblingen in einer Wirtschaft bedient hat. Die hat von ihm den Bernd bekommen. Aber die ist auch nicht bei ihm geblieben, mitsamt dem Bub. Aber eine gute Mutter war die halt nicht. Die hat den Bub nicht arg mögen, weil er so arg seinem Vater gleichsieht, wie ’s Judithle auch. Die sind dem Lemgruber wie aus dem Gesicht geschnitten. Gut ausgesehen hat er ja, das muss man ihm lassen.« Sie machte eine Pause und sagte dann: »Ich weiß gar nicht, was aus dem Lemgruber geworden ist.«
»Was war er von Beruf?«
»Ich weiß nicht genau. Er hat irgendwo in einem Lager geschafft, Gabelstapler gefahren und so was. Sie war aber eine feine Frau, sie arbeitete immer in einer Arztpraxis am Empfang. Ich glaube, das hat einfach nicht gepasst. Er sagte immer, dass er im Dreck arbeiten muss und sie im weißen Kittel herumsitzt und nichts tut für ihr Geld. Ein Prolet war das.«
Kupfer horchte auf.
»Woher wissen Sie das alles?«
»Weil ’s Judithle oft bei uns war und manchmal was erzählt hat. Die ist gern zu uns gekommen und war oft bei uns. Manchmal ist sie lange bei uns gesessen, wenn ihre Mutter ungeschickt Dienst hatte. Sie war doch Theos erste Freundin, vielleicht sogar seine erste Liebe.«
Kupfer schwirrten mit einem Schlag so viele Gedanken durch den Kopf, dass er Mühe hatte, äußerlich emotionslos weiterzufragen.
»Wann war das?«, fragte er trocken.
Erika Krumm wiegte nachdenklich den Kopf hin und her.
»Wann das genau losging, kann ich Ihnen nicht einmal sagen. Theo ging mit vierzehn zur Nabu-Jugend. Er hat sich für den Naturschutz interessiert, und wenn er irgendwie Zeit gehabt hat, dann war er unterwegs und hat Vögel beobachtet und Pflanzen gesammelt. Sie machen sich keine Vorstellung davon, was der Bub mit vierzehn, fünfzehn für ein Wissen hatte. Er war Feuer und Flamme. Und da war ’s Judithle auch dabei. Ich weiß noch, wie er sie nach einem Ausflug in den Hochschwarzwald das erste Mal mit heimgebracht hat. An dem Tag haben beide davon geredet, dass sie einmal Biologie studieren wollten. Aber daraus ist ja nichts geworden, mindestens beim Theo. Was sie gemacht hat, weiß ich gar nicht. Sie ist ein blitzgescheites Mädchen. Wenn der Theo nur bei ihr geblieben wäre!«
»Wie alt waren die beiden, als er sie mit nach Hause brachte?«
Erika Krumm dachte kurz nach.
»Fünfzehn oder sechzehn. Sie war sehr hübsch, und ich hab mich gefreut, dass der Theo so eine nette Freundin hat.«
»Und wie lange waren die beiden befreundet?«
»Mindestens bis zum Abitur, also mindestens drei Jahre,
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