Schönbuchrauschen
Kritzelei vor die Nase. Feinäugle zog die Brauen zusammen und betrachtete Kupfers Kritzelei im ersten Moment verständnislos.
»Die drei Fälle sollen einer sein?« Der Zweifel stand in sein Gesicht geschrieben.
»Ja, das meine ich.«
»Du willst aber nicht sagen, dass du schon beweisen kannst, dass es da einen Zusammenhang gibt?«, fragte Feinäugle skeptisch.
»Noch nicht. Aber genau die Darstellung dieses Zusammenhangs ist von jetzt an das Ziel unserer Ermittlungen. Halt dich fest, damit es dich nicht umhaut. Erstens: Das partnerlose Mädchen auf dem Stocherkahn heißt Judith Schwenk und ist nicht nur Lemgrubers Halbschwester, sondern auch Theo Krumms Jugendliebe. Zweitens: Das Liebespaar Theo und Judith hat seine Freizeit nicht in Diskos verbracht, sondern in der freien Natur. Als Naturfreaks waren sie bis zum Abitur Mitglied der Nabu-Jugend und haben mit anderen zusammen, aber auch allein, viele Ausflüge unternommen, unter anderem auch in den Schönbuch. Folgerung: Theo Krumm und Judith Schwenk kannten sich im Schönbuch gut aus. Und Judith Schwenks Mutter war schwer zuckerkrank. Und damit wusste die Tochter, die sehr gescheit sein soll, sicher mehr über Insulin als du und ich. Was sagst du nun?«
Feinäugle runzelte schweigend die Stirn und griff nach dem Foto von der Stocherkahnpartie, das immer noch auf dem Tisch lag. Er schaute es einen Moment kopfnickend an.
»Eine schlanke Frau, eher klein, aber von einer sportlichen Figur – so ähnlich hat doch der Förster diese Frau beschrieben, der er in der Nähe des Tatorts begegnet ist. Das könnte vom Typ her irgendwie passen. Aber trotzdem. Denk doch mal: Nach vielen Jahren machen sie ausgerechnet im November eine Nostalgiewanderung durch den Schönbuch, und bei dieser Gelegenheit spritzt sie ihn ab. Absurd ist das!«
»Zumindest, solange wir nicht mehr über die Frau erfahren und über alles, was zwischendurch passiert ist.«
»Aber woher?«
»Nicht von den beiden anderen Damen auf dem Foto. Von denen lass ich mich nicht mehr anlügen, wenn ich es vermeiden kann. Wir müssen mit diesem Dr. Halbritter Kontakt aufnehmen.«
»Gut. Den kontaktier ich über Facebook. Und außerdem lasse ich die GSE-Software auf dieses Foto ansetzen. Das Bild ist dafür gut genug, und sie blickt auch genau in die Kamera.« Er schaute das Foto an und lachte dann überlegen. »Damit tust du uns einen großen Gefallen, Judithle.«
»Okay, das übernimmst du. Bis wir das Ergebnis bekommen, können wir bloß Vermutungen anstellen. Seit dem Gespräch mit der Krumm geht mir so manches durch den Kopf.«
»Und?«
»Wenn ich bei der Jugendliebe beginne, komme ich überhaupt nirgends hin. Es kann doch nicht sein, dass eine junge Frau ihre erste Liebe umbringt, oder? Es sei denn, er hat sie so verletzt, dass sie zur Psychopathin wurde. So etwas soll es schon gegeben haben. Aber für mich scheidet das erst einmal aus. Setzen wir lieber beim Handgranatenattentat an. Gehen wir mal davon aus, dass Lemgruber oder Drescher, vielleicht auch beide, die Bastelarbeit mit der Handgranate abgeliefert haben, dann könnte ich mir, rein theoretisch, die junge Dame als Drahtzieherin im Hintergrund vorstellen.«
Feinäugle nickte zustimmend und tippte mit dem Zeigefinger auf das Foto.
»Ja. Auf dem Foto sehen wir, dass sie Andrea Lorenz kennt, und vielleicht ist sie eifersüchtig, weil Andrea ihr ihren Jugendschwarm weggeschnappt hat.«
»Das wäre aber ein bisschen krass, oder?«
»Schon, aber krass ist die ganze Geschichte ohnehin. Und denk mal, wenn sie tatsächlich fähig wäre, ihren Halbbruder zu so etwas anzustiften, wäre sie dann nicht auch fähig gewesen, Theo Krumm umzubringen?«
»Und genau das glaube ich einfach nicht. Es sei denn …« Kupfer stützte den Kopf in seine Hände und blickte vor sich hin.
»Es sei denn, sie hat noch ein ganz anderes Motiv, das wir nicht kennen«, führte Feinäugle seinen Satz zu Ende.
»Vielleicht aber doch«, sagte Kupfer nach kurzem Schweigen. »Es steht doch zu neunzig Prozent fest, dass Theo Krumm ermordet wurde, weil er sich ein Vermögen unter den Nagel gerissen hat. Es geht also um viel Geld. Wir müssen jetzt fragen, wie ’s Judithle ins Spiel kommt. Das Stocherkahnfoto ist nichts als eine Momentaufnahme. Wie sich diese Beziehungen weiterentwickelt haben, sehen wir nicht und müssen das jetzt in Erfahrung bringen. Zu wem gehört Judith Schwenk auf diesem Foto, und wie ging es mit ihr weiter? Und wo ist sie überhaupt? Das müssen wir
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