Schönbuchrauschen
würde ich sagen. Ich glaube, das ging erst auseinander, als Theo als Zivi bei den Rettungssanitätern war. Aber so genau weiß ich es nicht. Es sei halt aus, hat er gesagt. Er würde jetzt sein Studium machen und sie ihres. Mehr hat er nicht gesagt. Das war merkwürdig. Er hatte mir vorher immer so viel erzählt, und auf einmal nichts mehr, gar nichts. Wahrscheinlich hat er von mir keine peinlichen Fragen hören wollen, weil er daran schuld war, dass es auseinanderging. Wenn’s anders gewesen wäre, hätte er sicher irgendwann mal etwas gegen sie gesagt. Das hat er aber nie. Kein Wort.«
»Und die beiden sind immer mit der Nabu-Jugend weggewesen?«
»Nein, nicht nur. Eine Zeitlang waren sie unzertrennlich. Auch in der Schule. In der Abi-Zeitung hat man sie als Liebespaar des Jahrgangs dargestellt. So war das. An den Wochenenden haben sie immer was miteinander unternommen, sie haben Radtouren oder Wanderungen gemacht. Ich hab mich darüber gefreut, dass sie nicht die ganze Zeit in die Disko gegangen sind. Das sind sie manchmal auch, aber nur selten.«
Kupfer traute sich kaum weiterzufragen, weil er befürchtete, dass Erika Krumm hellhörig würde. Aber dann sagte er sich, dass sie die Beschreibung, die der Förster von der Frau in Tatortnähe gegeben hatte, nicht kannte, und stellte die Frage, die ihm seit dem Stichwort »Nabu-Jugend« auf der Zunge lag.
»Frau Krumm, wir wissen von Theos Kollegen, dass er sich im Schönbuch gut auskannte. Waren die beiden auch manchmal dort?«
»Ja, klar, häufig sogar. Dort sei es viel schöner als im Schwarzwald. Vor allem im Goldersbachtal …«
Sie konnte auf einmal nicht weitersprechen. Tränen traten in ihre Augen. Sie zückte ihr Taschentuch.
»Auch im Goldersbachtal«, brachte sie schluchzend heraus. »Wenn ’s Judithle wüsst, dass der Theo gerade dort …«
Weiter kam sie nicht. Kupfer ließ ihr Zeit, sich zu fassen.
»Nehmen Sie noch einen Schluck Wasser, Frau Krumm«, sagte er dann fürsorglich. »Es tut mir leid, dass ich Sie mit all dem noch einmal konfrontieren musste. Aber ich bin Ihnen sehr dankbar. Sie helfen mir wirklich weiter. Wissen Sie noch mehr über Judiths Halbbruder?«
»Wenig. Ich erinnere mich bloß daran, dass sie uns erzählt hat, dass ihr Bruder ohne Abschluss von der Realschule abging und Schwierigkeiten hatte, eine Lehrstelle zu finden. Wenn ich’s richtig weiß, wollte er eine Mechanikerlehre machen. Aber ob daraus etwas geworden ist, kann ich nicht sagen.« Sie zuckte mit den Achseln.
»Gut«, sagte Kupfer, »mehr brauchen wir über den jungen Mann im Moment auch nicht zu wissen. Mich interessiert nur noch eines: Wie kommt Judith auf diesen Stocherkahn? Zu wem gehörte sie? Und wieso lacht sie fröhlich in die Kamera neben ihrem ehemaligen Freund, der so stolz seinen Arm um ihre Nachfolgerin legt?«
»Das überrascht mich auch. Dazu kann ich Ihnen aber nichts sagen, leider. Offensichtlich war sie mit ihm völlig fertig.«
»Aber wie es aussieht, hat ihm das nichts ausgemacht«, ergänzte Kupfer.
»Nein, das wohl nicht. Die waren fertig miteinander. Schade.«
»Noch eine letzte Frage: Wissen Sie, wo ich Judiths Mutter erreichen kann?«
»Auf dem Friedhof«, sagte Erika Krumm langsam. Es fiel ihr schwer, das auszusprechen. »Ich habe vor ein paar Jahren die Todesanzeige in der Zeitung gelesen.«
»Woran stirbt eine Frau in diesem Alter? Krebs?«
»Nein. Soviel ich weiß, an einem Schlaganfall. Sie war schwer zuckerkrank gewesen.«
Kupfer bedankte sich bei Erika Krumm und begleitete sie zur Pforte. Die Sonne stand inzwischen im Zenit, und es war etwas wärmer geworden.
»Sind Sie sicher, dass Sie zu Fuß gehen wollen?«
Sie nickte.
»Bei dem schönen Wetter! Wissen Sie, Herr Kupfer, an irgendwas muss man sich noch freuen. Sonst geht es gar nicht mehr.«
Dann drehte sie sich um und ging zum Bahnhof.
31
Kupfer fand sich nach ein paar Minuten in seinem Büro wieder. Wie er dorthin gekommen war, wusste er nicht mehr, so wirr waren die Gedanken in seinem Kopf herumgekreist. Nun hatte er ein Stück Papier vor sich liegen und kritzelte drei Linien darauf, die im spitzen Winkel in einem Punkt zusammenliefen. Es sah aus wie ein V, das in der Mitte durch einen senkrechten Strich in zwei Hälften geteilt war. Dann benannte er die drei Linien: Schmieröl, Handgranate und Schönbuchmord. Unter das geteilte V setzte er ein Fragezeichen.
»Aus drei mach eins«, sagte er zu Feinäugle, als dieser ins Büro kam, und hielt ihm seine
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