Schöne Leichen (Ein Lisa Becker Krimi) (German Edition)
Leinwänden.“
Mike seufzte. „Ich verstehe das auch nicht. Sehen Sie, als das damals anfing , zum Beispiel mit Jackson Pollock und se i nem verschissenen Action Painting, da war das Rebellion, da war das Aufbegehren gegen die Form, die Zerstörung des Al t h ergebrachten. Das ist ja auch i n Ordnung, so lange es halt neu und wirklich avantgardistisch ist. Aber an irgendeinem Punkt in den Fünfziger, Sechziger Jahren wurde der Kram auf einmal der Mainstream! Plötzlich wollten die Leute nur noch so ein Gekleister, und obwohl die Künstler steinreich wurden, haben sie sich weiterhin eingebildet, hier das Establishment aufzumischen. Irgendwie wurde einfach dieser Moment ve r passt, an dem jemand sagen musste ‚Hey, wenn man mal den Faktor Rebellion und Befreiung außen vor lässt, ist das Zeug eigentlich nur hässlicher, belangloser Mumpitz, nichts als G e schmiere von überbewerteten Windeiern‘. Leider ist es jetzt zu spät dafür.“
Mike Warburg hatte zwar ganz ruhig gesprochen, aber die Verbitterung war überdeutlich.
„Sie scheinen doch ganz gut zu verkaufen“, sagte Lisa vorsichtig.
„Ja“, gab er zu, „und ich bin ja auch zufrieden. Ich werde ausgestellt, ich werde mehr und mehr akzeptiert. Trotzdem, ich mache mir ständig diese Mühe, brauche Ewigkeiten für j e des einzelne Stück, und gleichzeitig gibt es diese Typen , die mit Anstreicherrollen über Leinwände gehen und anschließend dafür bejubelt werden, wie die Farbkleckse den Widerspruch zwischen Seele und Körper widerspiegeln oder irgend so sein Dünnschiss . Es ist ermüdend. Raubt einem die Motivation.“
Lisa versuchte nun, wieder zum Thema überzuleiten.
„Wie gefällt Ihnen denn, was Ihre Kollegen hier so m a chen?“
Mike grinste.
„Die halten sich alle für Genies. Einige sind begabt, die meisten würde ich nicht mal mein Auto lackieren lassen. Es gibt natürlich Individuen, d ie sich jeder Klassifizierung e n t zi e hen. Die respektiere ich. Agatha zum Beispiel.“
Oh. Jetzt verliert er aber massiv Punkte.
„Sie scheint eigentlich gar nichts zu machen“, gab er zu, „aber sie kann was. Ich habe frühere Arbeiten von ihr gesehen, als sie noch klassisch als Künstlerin gearbeitet hat. Ihre neue Richtung ist vielleicht sonderbar, aber authentisch . Sie lebt ihre Kunst, ist ihre eigene Kunst geworden. Das ist ultimativ auch mein Ziel.“
„Wie soll das gehen?“ fragte Lisa. „Wollen Sie eine Skulptur von sich selbst schaffen?“
Er sah sie unverwandt an.
„Das ist gar nicht mal so weit entfernt. Nur natürlich viel komplexer. Schauen Sie, ich kann nicht sagen, was die Z u kunft bringt. Ich weiß nicht, wie meine Kunst in zwanzig Ja h ren aussehen wird. Vielleicht mache ich dann was ganz and e res. Ich hoffe es.“
„Wieso? Sind Sie nicht zufrieden mit Ihrem Werk?“
„Doch, sicher. Zur Zeit schon. Aber wozu soll man denn sein Leben lang immer dasselbe machen? Dafür wird man nicht Künstler, dafür wird man Finanzbeamter. Oder Polizist.“
Lisa fand, sie musste beleidigt sein, brachte es aber nicht über sich. Aber richtig, sie war ja Polizistin, und sie war e i gentlich nicht zum Plaudern hier.
„Wie steht es zum Beispiel mit diesem Tim Stewart? Ich hab gerade seine Bilder gesehen, wenn auch nur flüchtig.“
„Ich mag seinen Stil, aber nicht seine Motive. Diese bill i gen Schockeffekte, dieses formelhafte Provozieren mit G e schlechtsteilen und abartigen Sex-Praktiken.“
„Abartig? Das habe ich noch nicht gesehen.“
„Dann sehen Sie nochmal genauer hin.“
„Sie mögen ihn wohl nicht?“
Mike Warburg sah sie an, er wirkte erschöpft.
„Er hat es Ihnen erzählt, oder?“
Lisa ließ sich nichts anmerken .
„Dieser Wichser!“
Mike stand auf und fing an, in seinem Atelier herumzula u fen und vor sich hin zu schimpfen .
„Das gefällt ihm, möchte ich wetten! Das genießt er jetzt so richtig! Dass er wieder einen ‚umgedreht‘ hat, wie er meint. Einen Scheiß hat er! Das mach ich nie wieder, das hab ich ihm deutlich klar gemacht!“
Lisa sah ihm verblüfft zu. Der ruhige Mike Warburg war geradezu aufgelöst.
„Ich geb ja zu, es hat Spaß gemacht in dem Moment, aber mein Gott, jeder kriegt doch gern einen gelutscht! Ist dann ja auch egal, ob von ’nem Mann oder ’ner Frau! Fühlt sich genau gleich an! Und sicher, schwule Männer können’s am besten, die haben ja auch dauernd Übung! Was heißt das schon? Ich weiß, dass ich Frauen liebe! Männer sind doch grauenhaft, es ist mir ein
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