Schöne Leichen (Ein Lisa Becker Krimi) (German Edition)
„Shit.“
Lisa machte sich keinen Reim auf die Reaktion. Es war wohl echte Überraschung darin, aber auch nicht der Versuch , besonders bestürzt zu erscheinen.
„Wie gut kannten Sie ihn?“
Er wendete sich wieder seinem Werk zu, schliff etwas von der Kinnpartie des Wesens zurecht, während er antwortete.
„Wir waren künstlerisch nicht auf einer Wellenlänge. Er hat nichts von mir gekauft. Aber das ist ja in Ordnung, man kann nicht jedem gefallen.“
„Und privat?“
„Wie meinen Sie das?“
„Kannten Sie ihn privat näher?“
Warburg sah sie herausfordernd an.
„Sie möchten wissen, ob wie unsere nackten Körper ine i nander gestöpselt haben, was?“
Lisa wurde rot.
„Herr Warburg, bitte. Mir ist doch völlig egal, ob jemand schwul ist oder nicht. Wenn Sie es sind, sind Sie’s, wenn nicht, dann nicht. Aber wenn sie dazu gar nichts sagen wollen, macht Sie das unnötig verdächtig. Also, von Mann zu Frau, von aufgeklärtem Stadtmensch zu aufgeklärtem Stadtmensch: Lief da was zwischen Ihnen und Ralph Schubert?“
Mike schluckte hörbar, dann sah er ihr direkt in die A u gen.
„Nein, da war nichts.“
„Und bei Thomas Sieber?“
„Thomas...?“ Er schien wirklich überfragt.
„Das erste Opfer. Wir haben seinen Namen erwähnt.“
„Den kannte ich gar nicht. Und um das jetzt klarzustellen, Herrgott nochmal, ich hasse es, das tatsächlich sagen zu mü s sen, wie in irgendeinem zurückgebliebenen Polizeistaat , aber ich bin nicht schwul!“
Trotzig nahm er wieder den kleinen Meißel in die Hand. Lisa nahm sich einen Holzstuhl und setzte sich neben ihn. Sie würde ihre Taktik ändern müssen.
„Was ist das?“ fragte sie.
Mike knurrte zuerst ungeduldig, beruhigte sich dann aber.
„Das ist ein Phantasiewesen. Ich habe ihm noch keinen Namen gegeben. Das überlasse ich manchmal sogar den Kä u fern. Irgendwie interessieren mich Titel nicht, meinetwegen müssten Kunstwerke überhaupt keinen Namen haben, sie sol l ten für sich selbst sprechen.“
„Hören Sie öfter Musik, wenn Sie arbeiten?“
„Nur wenn Agatha wieder ihre Carl Orff CDs abspielt. Stört mich einfach, das Zeug ist so pompös und irgendwie krank.“
Lisa hatte es nicht bemerkt, aber Mike hatte recht: O b wohl sie die Tür geschlossen hatte, konnte man die sonderb a re Choralmusik noch hören.
Armer Fabi. Der macht gerade die Hölle durch.
„Manche mögen seine Sachen“, meinte Lisa, „aber ich muss zugeben, außer O fortuna kenne ich fast nichts.“
„Gewiss, das ist schon ganz große Musik, das bestreite ich gar nicht , es ist mir nur auf Dauer zu viel . Agatha hat e i nen sehr guten Geschmack, in fast allen Dingen. Sie ist sehr auf Ästhetik bedacht, wie Sie vielleicht bemerkt haben.“
„ Das klingt vertraut, ja“, murmelte Lisa. „Sie ist sehr schön. Wenn man auf so was steht.“
Mike lachte. „Wer steht denn nicht auf schöne Frauen?“
„Nun, homosexuelle Männer, zum Beispiel.“
„Sind wir jetzt wieder beim Stichwort?“, fragte Mike g e nervt. „Sie lassen auch keine Ruhe, was? Schade, ich finde Sie eigentlich ganz sympathisch. Sie haben den falschen Job, Sie sollten lieber Kinder unterrichten oder eine Buchhandlung fü h ren, etwas Vernünftiges.“
„Mörder fangen finde ich sehr vernünftig“, erwiderte Lisa, war aber nicht gekränkt. Sie fragte sich ja selbst regelmäßig, ob sie den richtigen Beruf gewählt hatte. T aten das nicht alle? Irgendwann hatte Mario Barth diese merkwürdige Idee gehabt, Komiker zu werden. Und jetzt stand er da. Reich und erfol g reich und so witzig wie ein Blinddarmdurchbruch , während er belämmerten Idioten die letzten Hirnzellen zertrampelt e .
„Schon gut, schon gut“, entschuldigte sich Mike. „Aber vielleicht haben Sie ja irgendein Talent, dass verkümmert.“
Lisa staunte, dass ihre eigenen Gedanken mit denen ihres Gesprächspartners auf einmal synchron liefen.
„Ich weiß nicht. Ich gehe nicht mal oft in Museen. Obwohl – ich hab mir vorgenommen, mal in die Neue Nationalgalerie zu gehen. Was Sie über die Neue Sachlichkeit gesagt haben, klang vielversprechend.“
„Tun Sie das“, lächelte er, „das ist der erste Schritt. Man kann nicht einfach so loslegen, man muss wenigstens einen eigenen Geschmack entwickeln.“
„Ihre Sachen gefallen mir“, sagte Lisa aufrichtig, „sie sind gegenständlich und trotzdem originell. Ich kapier nicht, wieso Leute Unsummen bezahlen für irgendwelches Farbgeschmiere auf meterhohen
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