Schöne Lügen: Roman (German Edition)
»Ich glaube, er setzt sich
deshalb nicht mit dir in Verbindung, weil er dich liebt. Er möchte sicher nicht, daß du auch noch in die ganze Sache hineingezogen wirst. Er will dich auf diese Art schützen.«
»Weniger Schutz und mehr von ihm wäre mir lieber.«
Erin lächelte zärtlich. »Ich kann das verstehen, aber ich bezweifle, ob ein Mann dazu in der Lage ist.« Ihre Gedanken schweiften einen Augenblick ab. »Männer sehen die Dinge anders als wir Frauen.« Sie klang melancholisch.
Melanie putzte sich die Nase und wischte sich die Tränen aus den Augen. »Ich habe mich heute gar nicht um dich kümmern können«, schniefte sie. »Nicht einmal erkundigt habe ich mich, wie du dich fühlst.«
»Mir geht es gut. Ich fühle mich wesentlich besser.«
Melanie nickte abwesend. Erin sah, daß sie in ihrer Depression verharrte. Die Abwesenheit ihres Mannes hatte ihr den Boden unter den Füßen weggezogen, den sie nur selber zurückerobern konnte.
Melanie bestätigte Erins Überlegungen, indem sie sagte: »Wenn du nichts dagegen hast, werde ich jetzt wieder in mein Zimmer gehen. Heute abend bin ich bestimmt keine gute Gesellschaft. Ich möchte mich ins Bett legen, das ich mit Ken geteilt habe, und möchte an ihn denken. Klingt das verrückt?«
»Mir kommt das ganz normal vor. Aber wenn du mitten in der Nacht den Wunsch verspürst, mit jemandem zu reden, dann gibt es mich. Du störst mich nicht!«
»Danke, Erin. Ich … ich bin wirklich froh, daß du hier bist.«
Sie schlang die dünnen Arme um Erins Hals, und Erin erwiderte die Umarmung. »Ich bin auch froh, hier zu sein. Gute Nacht.«
»Gute Nacht.«
Erin hatte den Tag über so viel geschlafen, daß sie sicher nicht würde einschlafen können. Erstaunlicherweise schlief sie trotzdem sofort ein. Sie hatte noch über Lances eigenartiges Benehmen nachdenken wollen, aber ihre Gedanken vollführten seltsame Kapriolen. Kens Verschwinden war ein Problem, mit dem sie noch fertigwerden mußte, und Melanies Verzweiflung erfüllte sie auch mit Sorge. Doch ihr Kopf weigerte sich, solch beunruhigende Dinge zu ordnen. Sobald sie sich in die Kissen gekuschelt hatte, sank sie bereits in Schlaf.
Ihre Träume waren erfüllt von Lance. In einem Augenblick ragte er grausam und rachsüchtig auf, im nächsten Augenblick schon lag sie in seinen Armen, und er liebte sie. Ihre Fingerspitzen fühlten das dichte Haar in seinem Nacken, sein Duft hüllte sie ein, als er sie an sich drückte. Immer wieder flüsterte er ihren Namen in ihr Ohr. Erin. Erin. Sie zog ihn noch enger an sich und umarmte ihn.
Einen Augenblick lang, nachdem sie die Augen geöffnet hatte, glaubte sie noch immer zu träumen, Lance, rief sie leise. Er beugte sich über sie, und ihre Arme lagen um seinen Hals.
»Was …«, keuchte sie, löste sich von ihm und verschwand unter der Decke.
9. KAPITEL
»Psst, es ist alles in Ordnung. Entschuldige, wenn ich dir angst gemacht habe«, flüsterte er. »Erin …«
»Was tust du hier?« fragte sie unwirsch. Was für eine Nummer war jetzt dran? Sie traute ihm nicht, er war undurchschaubar. Und deshalb verstand sie nicht, warum ihr Herz Bocksprünge machte und sie am ganzen Körper bebte, als sei ihr Traum Wirklichkeit geworden. Sie hatte buchstäblich gefühlt, wie …
»Erin, ich muß dir etwas sagen. Soll ich das Licht anmachen?« Sie wehrte ab. »Wir haben Neuigkeiten bekommen. Sie sind nicht gut. Ich brauche dich, um es Mrs. Lyman beizubringen.«
»Ken?«
Sie spürte, daß er nickte. »Ja«, sagte er dann. Eine schlimme Vorahnung überkam sie.
»O Gott«, flüsterte sie. »Lance, habt ihr ihn gefunden?«
»Ja.« Er holte tief Luft. Im Dunkeln suchte er nach ihren Händen, sie hatte sie vor den Mund gepreßt. Er nahm sie in seine und wärmte sie zwischen seinen kräftigen Fingern. »Erin, er ist tot.«
»Nein«, ächzte sie und schüttelte den Kopf. Das durfte nicht wahr sein. Gott war nicht so grausam. »Nein«, wiederholte sie entschieden.
Lance griff nach ihren Schultern. »Es tut mir leid, Erin, du mußt mir glauben. Sie haben ihn gestern abend gefunden, in einem schmuddeligen Hotel in den Außenbezirken von San Diego. Offensichtlich plante er, im Dunkeln über die Grenze zu schlüpfen.«
Sie versuchte, all das zu begreifen, was er sagte, aber es gelang ihr nicht. Nur eine grausame Wahrheit hatte noch Bedeutung für sie. Sie würde ihren Bruder nie lebend sehen. Kenneth Lyman war tot. Erst nach einer Weile dämmerte es ihr, daß Lance aufgehört hatte zu
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