Schöne Lügen: Roman (German Edition)
sprechen. »Wie ist es geschehen?« fragte sie. Aber was bedeutete das jetzt noch?
»Darüber sprechen wir später.«
»Sag es mir jetzt«, verlangte sie mit tonloser Stimme.
»Er wurde umgebracht.« Lance seufzte. »Man hat ihn ausgeraubt, sein Taschengeld, seine Uhr und alles andere. Aber die Ironie des Ganzen ist, daß der Koffer mit dem Geld unter seinem Bett gefunden wurde.« Er hielt einen Augenblick inne, dann fragte er: »Bist du in Ordnung?«
»Ja«, antwortete sie. Ihre Ruhe überraschte sie selbst. »Wir sagen es jetzt Melanie.« Sie wartete nicht auf seinen Kommentar, stand auf und zog ihren Morgenmantel über. Als sie sich nach ihm umsah, wartete er bereits im Flur auf sie.
Vor der Tür von Melanies Zimmer schlug er vor: »Vielleicht ist es besser, wenn du reingehst und sie aufweckst. Ruf mich, wenn du soweit bist.«
Es war das Schwerste, was Erin in ihrem ganzen Leben zu bewältigen hatte, aber sie ging in das Zimmer, weckte Melanie auf, half ihr, sich etwas überzuziehen und stützte sie dann, als Lance der jungen Frau schonend den Tod ihres Mannes beibrachte. Erin hatte erwartet, daß ihre Schwägerin
zusammenbrechen würde, daß sie weinen oder schreien oder vielleicht hysterisch werden würde. Aber sie lauschte Lances Worten unbewegt und ohne eine Träne zu vergießen.
Als er schließlich seinen Bericht geendet hatte, ohne Einzelheiten zu erwähnen, sagte sie abgehackt: »Ich glaube … ich wußte, daß er tot war … Ich hatte den ganzen Tag über so ein Gefühl … als wenn ich ihn nie wiedersehen würde. Eigenartig …«
Sie fragte Lance, was sie jetzt tun mußte, und er antwortete ihr behutsam: »Nun, wir sind sicher, daß er es ist, aber leider müssen Sie hinfahren, um die Leiche zu identifizieren. Weil er keines natürlichen Todes gestorben ist, haben Sie eine Menge Papiere zu unterschreiben, bis sein Leichnam freigegeben wird. Ich werde Ihnen natürlich bei alldem zur Seite stehen.«
»Danke, Mr. Barrett. Ich benötige Ihre Hilfe unbedingt.«
»Soll ich Ihre Eltern anrufen …«
»Nein!« erklärte Melanie, plötzlich energisch. »Das tue ich selbst. Allerdings möchte ich gern, daß Erin mitkommt.«
Lance sah aus, als wolle er widersprechen, doch Erin versicherte ihr schnell: »Natürlich«, ehe er etwas einwenden konnte.
Mit grimmigem Gesicht sah er auf seine Uhr. »Ich kümmere mich um die Flugtickets. Es ist jetzt halb sieben. Könnten Sie in etwa zwei Stunden reisefertig sein?«
»Ja, das schaffen wir«, antwortete Melanie ganz ruhig.
Die Ereignisse der nächsten Tage blieben Erin für immer als ein verschwommener Wirbel von Agonie im Gedächtnis. Sie konnte sich später an keine Einzelheiten mehr erinnern,
obwohl einige der Dinge für den Rest ihres Lebens in ihrem Gedächtnis haften würden.
Mit äußerster Disziplin schafften sie und Melanie es, sich in der zugestandenen Zeit auf die Reise nach San Diego vorzubereiten. Sie kleideten sich praktisch und warm, Erin trug einen blauen Blazer über einer elfenbeinfarbenen Seidenbluse zu einem Rock aus karamelfarbenem Wollstoff. Als sie das Haus verließen, holte sie noch ihren ledernen Trenchcoat aus der Garderobe.
Melanie war ähnlich gekleidet, sie hatte ihr Haar zu einem strengen Pferdeschwanz zurückgekämmt und sich nicht geschminkt – doch sah sie trotzdem schön aus, beinahe wie eine tragische Heldin. Erins Herz flog dieser jungen Frau zu, die sich als so tapfer erwies.
Lance fuhr sie mit dem mittlerweile reparierten Wagen der Regierung zum Flughafen. Melanie saß still in einer Ecke im Fond, Erins Augen waren voller Tränen, doch Melanie bewahrte die Fassung. Das einzige Anzeichen ihrer Verzweiflung war ihre Hand, die Erin auf dem Flug von San Francisco nach San Diego umklammert hielt. Sie saßen am Fenster und hatten ihre Mäntel und Taschen auf einen Sitz zwischen sich gelegt. Lance saß auf der anderen Seite des Ganges, den ganzen Flug über starrte er aus dem Fenster. Melanie gegenüber war er ausnehmend höflich, auch mit Erin ging er zuvorkommend um, jedoch in eher unpersönlicher, reservierter Weise.
Am Flughafen wurden sie von einem Mann empfangen, der Mike ähnelte, er führte sie zu einem anderen, gleichermaßen unauffälligen Wagen. Lance saß vorn neben dem schweigsamen Fahrer, Erin und Melanie teilten sich die
Rückbank. Die beiden Männer sprachen leise miteinander, aber was sie sagten, war nicht zu verstehen. Melanie betrachtete den Verkehr und die vorbeifliegende Landschaft, als sei sie
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