Schöne Lügen: Roman (German Edition)
Farbe sie haben? Ich kann mich genau daran erinnern, wie sie sich angefühlt haben, wie ich sie mit meiner Zunge gestreichelt habe. Ich weiß, wie sie schmecken. Und genau jetzt möchte ich …«
Das Signal zum Anlegen der Gurte leuchtete auf, und sie hörten die leise Glocke, die die Aufmerksamkeit der Fluggäste wecken sollte. Lance erlaubte sich an ihrem Ohr einen herzhaften Fluch. Er setzte sich auf und schloß schnell die Knöpfe ihrer Bluse, ehe er sich auf seinen Platz zurückzog.
Erin streckte die Hand aus und legte sie auf seinen Arm, doch er zischte: »Rühr mich nicht an.« Als er sah, daß sein Aufbrausen sie verletzt hatte, lächelte er. »Hast du noch nicht bemerkt, daß es bei mir ein wenig dauern wird, ehe ich mich wieder sittsam sehen lassen kann?« Mit einem schiefen Grinsen sah er sie an, und es dauerte einen Augenblick, ehe sie begriff, was er meinte. Als es ihr klar wurde, zog sie die Hand mit einem Ruck zurück und blickte nach vorn, sie wagte nicht, sich zu bewegen. Er lachte leise.
Erst als sie zur Landung ansetzten, riskierte sie einen zweifelnden Blick zu ihm hinüber. »Lance, glaubst du … findest du, daß ich mich schamlos benehme, nach alldem, was heute geschehen ist? Bin ich deswegen ein abscheulicher Mensch?«
Das Lächeln, mit dem er sie bedachte, war zärtlich und offen zugleich. »Ich habe in den letzten Jahren genug Erfahrung damit gesammelt, die Reaktionen der Menschen in den verschiedensten Schreckenssituationen zu beobachten. Dabei habe ich festgestellt, daß ein Ausbruch der Gefühle aufgrund von Aufregung oder Trauer die vielfältigsten Formen annehmen kann. Manche Menschen weinen oder schreien oder fangen an zu toben. Andere lachen unkontrolliert. Und einige wenden sich der Liebe zu.« Er machte eine inhaltsschwere Pause. »Das eine Gefühl ist dabei genauso natürlich wie das andere, Erin.«
»Danke«, murmelte sie.
10. KAPITEL
»Hallo, Tante Reba. Hier spricht Erin. Ist Mutter da?«
»Erin, wir haben gerade über dich gesprochen. Bist du wieder in Houston?«
»Nein, ich rufe aus San Francisco an.«
»Gut, dann will ich dich nicht aufhalten. Deine Mutter kann es kaum erwarten, mit dir zu sprechen. Auf Wiedersehen, mein Liebes.«
Die Beerdigung sollte in einer Stunde sein, aber Erin hegte den unaufschiebbaren Wunsch, vorher mit ihrer Mutter zu sprechen; deshalb hatte sie sich die Zeit genommen zu diesem Ferngespräch.
Gestern war der schwerste Tag in Erins gesamtem bisherigen Leben gewesen. Melanie hatte sich entschieden, Kens Beerdigung nicht mehr hinauszuschieben. Sie sollte um vier Uhr am heutigen Nachmittag stattfinden, und das bedeutete, daß sie kaum Zeit hatten für all die Vorbereitungen, die bis dahin getroffen werden mußten. Dennoch war es eine kluge Entscheidung, dachte Erin. Je eher Melanie wieder zu einem normalen Leben zurückkehren konnte, desto besser.
»Hallo, Erin.« Die fröhliche Stimme von Merle O’Shea war Balsam für Erins wunde Seele.
»Mutter, es tut so gut, deine Stimme zu hören. Wie geht es dir?«
»Gut. Aber viel wichtiger ist, wie es dir geht? Du klingst unglücklich.«
Mehr Anstoß brauchte Erin nicht, die ganze Geschichte sprudelte aus ihrem Mund, stoßweise, unterbrochen von vielen Tränen. Sie begann mit ihrer Ankunft vor dem Haus von Ken Lyman und beendete ihre Geschichte damit, daß um vier Uhr am heutigen Nachmittag eine Beerdigung stattfinden würde. Heftiges Schluchzen folgte.
»Oh, mein liebes Mädchen, es tut mir ja so weh um dich. Ich kann mir vorstellen, wie furchtbar das alles für dich gewesen sein muß. Ganz besonders, weil du dich doch so darauf gefreut hast, deinen Bruder endlich kennenzulernen.« Erin hörte, wie ihrer Mutter die Stimme versagte. Immer, wenn Erin litt, litt ihre Adoptivmutter mit. Sie war zwar nicht in ihrem Leib gewachsen, doch ganz sicher in ihrem Herzen.
»Gibt es irgend etwas, das ich für dich tun kann? Möchtest du, daß ich nach San Francisco komme?«
Das wäre wirklich ein übermenschliches Opfer. Merle O’Shea fürchtete sich vorm Fliegen. »Nein, Mutter. Es hat mir so sehr geholfen, mit dir reden zu können. Wirklich, jetzt geht es mir schon viel besser. Ich muß mich zusammenreißen, um Melanies willen.«
»Es hört sich an, als wäre sie ein liebes Mädchen.«
»Das ist sie auch. Wir fühlen uns wie Schwestern.«
Die nächste Frage schien ihrer Mutter schwerzufallen. »Erin, hast … ich meine, hast du irgendwelche Informationen gefunden über … über deine
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