Schöne Lügen: Roman (German Edition)
aber wenn Sie all Ihre Sachen aus dem Haus geholt haben, würden Sie dann bitte den Schlüssel bei den Leuten nebenan abgeben? Ich habe ihnen schon Bescheid gesagt. Meine Nachbarin will sich in meiner Abwesenheit um das Haus kümmern, bis ich zurückkomme.«
»Abgemacht«, erklärte er.
Impulsiv ging Melanie zu ihm und lag im nächsten Augenblick in seinen Armen. »Ich danke Ihnen, daß Sie trotz allem so freundlich waren«, hörte Erin sie an seiner Brust murmeln. »Ich weiß, daß Sie Ihr möglichstes getan haben, um Ken zu finden und ihn mir wiederzubringen. Sie hätten ihn sicher gerecht behandelt, wenn Sie ihn gefunden hätten.«
Lance schloß für einen Augenblick die Augen. »Ich hätte Ihnen von Herzen gewünscht, daß es anders ausgegangen wäre, Mrs. Lyman.« Melanie löste sich aus seinen Armen und ging zur Tür.
»In gewisser Weise bin ich froh, daß Ken nicht ins Gefängnis gehen und noch mehr Schmach erleiden mußte. Er war schon so lange unglücklich. In seinem Brief an mich«, sie legte eine Hand an ihre Brust, und Erin nahm an, daß sie dort den Brief verborgen hielt, »hat er gesagt, daß er sich immer nach Anerkennung gesehnt hat. Ich denke, er hat das Geld nur deshalb genommen, weil er so die Aufmerksamkeit auf sich ziehen wollte, als hätte er gesagt: ›Ich lebe. Hier bin ich, Kenneth Lyman.‹ Ich bin zwar keine Psychologin, aber seine Motive sind mir plötzlich klargeworden. Und ich weiß, daß er mich geliebt hat, trotz allem.«
Erin rollten ganz von allein die Tränen über die Wangen, als sie ihre Schwägerin noch einmal in die Arme schloß. Sie und Lance standen an der Haustür, als Melanie ihren Wagen aus der Garage fuhr, ihnen zuwinkte und davonrollte.
»Glaubst du, sie wird es schaffen, Lance?« fragte Erin ein wenig ängstlich.
»Es wird ihr wesentlich bessergehen als bisher«, murmelte er, und seine Worte trösteten Erin. »Komm«, forderte er sie auf und grinste begütigend. »Ich werde dir dein Gesicht abwischen.« Er zog ein Taschentuch aus seiner Tasche und wischte ihr die Tränen von den Wangen. »Wie lange ist es eigentlich her, seit du etwas Vernünftiges gegessen hast?«
»Ich kann mich gar nicht mehr erinnern.« Sie runzelte die Stirn.
»Das habe ich mir gedacht«, bestätigte er. »Du bist schon
ganz dünn geworden.« Als wolle er es ihr beweisen, legte er eine Hand auf ihre Rippen und schob Erin dann in Richtung Küche. »Da drin ist genug zu essen für eine ganze Armee, und wenn wir es jetzt nicht essen, müssen wir es morgen wegwerfen. Auf die Plätze … !«
Während Erin in der Küche ihren Teller füllte, ging Lance ins Wohnzimmer und hob den Hörer des roten Telefons ab. »Mike, sag den Jungs, sie sollen eine Pause machen und rüberkommen, um an dem Überfluß hier teilzunehmen.«
Lance trug keine Krawatte, die Ärmel seines Hemds hatte er hochgerollt, als er in die Küche zurückkam. »Das ist noch nicht genug«, er begutachtete ihren Teller. Trotz ihres lauten Protests nahm er noch ein gebratenes Hühnerbein und auch noch einen Löffel Kartoffelsalat und häufte beides auf ihren Teller.
»Ich werde zu fett«, wehrte sie ab, als er Anstalten machte, ihr noch mehr draufzupacken.
Er produzierte sein freundlich neckendes Grinsen, das sie so selten an ihm sah und das sie so bezauberte. »Unmöglich! Außerdem kenne ich an deinem Körper einige Stellen, die ein paar liebliche Polster ganz gut vertragen könnten.« Seine Augen blickten anzüglich auf ihre Brüste.
»Ich …« Sie öffnete den Mund, um ihm zu widersprechen, doch in diesem Augenblick ging die Hintertür auf und die Männer polterten herein. Sie kannte nur Mike und Clark, aber es versammelten sich noch drei andere in der Küche. Sie war sicher, daß diese Männer sie kannten, und wußte auch, daß allesamt ihre Unterhaltung mit Bart gehört hatten. Die Bekanntmachung war ihr daher einigermaßen peinlich.
Alle verhielten sich ein wenig steif, über die Maßen höflich und viel zu still. Erin nahm an, daß ihre Zurückhaltung mit ihrer Anwesenheit zusammenhing. Schließlich hatte es heute eine Beerdigung gegeben, und jedermann kannte die Umstände. Um es sich selbst und auch ihnen ein wenig leichter zu machen, beschloß Erin, die Stimmung ein wenig aufzulockern.
Sie begann damit, den Männern einige entgegenkommende Fragen zu stellen, und es dauerte nicht lange, da antworteten sie ihr bereitwillig, ohne vorher Lance einen fragenden Blick um Erlaubnis zuzuwerfen. Die Schleusen waren geöffnet,
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