Schöne Lügen: Roman (German Edition)
natürliche Mutter?«
Erin lächelte in den Hörer. Ihre Mutter konnte also einen Anflug von Eifersucht nicht unterdrücken. »Nein, Mutter, das habe ich nicht.«
»Ich werde es mir nie verzeihen, daß ich damals alle Unterlagen vernichtet habe, die mir das Waisenhaus gegeben hat, noch ehe ich sie überhaupt gelesen hatte. Als Gerald und ich dich bekamen, war ich so aufgeregt und wollte dich ganz für mich allein haben …«
»Mutter, bitte. Das haben wir doch alles schon tausendmal besprochen. Damals hattest du das Gefühl, das Richtige zu tun für mich. Außerdem bin ich nicht einmal sicher, ob ich überhaupt noch mehr erfahren möchte. Ich glaube, eine weitere Enttäuschung könnte ich nicht verkraften.«
Beide waren einen Augenblick lang in Gedanken versunken, ehe Merle fragte: »Dieser Mr. Barrett, ist er nett? ich hoffe, er ist nicht einer von diesen Hartgesottenen.«
Erin hatte absichtlich nicht von ihrer persönlichen Beziehung zu Lance Barrett angefangen. War er nett? »Ja, er ist, glaube ich, ganz nett, obwohl er die Sache natürlich sehr professionell angeht. Ich würde ihn aber nicht hart nennen.«
Ihre Mutter gab sich mit dieser Antwort zufrieden. »Gut. Ich denke, du solltest wenigstens im Augenblick dankbar sein dafür.«
»Ja, der Meinung bin ich auch.«
»Wann kommst du nach Hause, Erin? Ich fühle mich viel besser, wenn ich dich wieder in Houston weiß. Dann bist du wenigstens nicht ganz so weit weg.«
Erin seufzte. Sie hatte noch keine Terminpläne gemacht, obwohl sie wußte, daß es unvermeidbar auf sie zukam. »Ich kann es noch nicht sagen, Mutter«, antwortete sie wahrheitsgemäß. »Ich möchte auf jeden Fall zuerst sicher sein, daß es Melanie gutgeht. Ich denke, in ein paar Tagen wird es soweit sein. Ich sage dir Bescheid.«
»Tu das bitte.« Merle zögerte noch einen Augenblick, dann sprach sie weiter. »Erin, ich weiß, wieviel dir das alles bedeutet hat. Wenn ich dir diesen Schmerz hätte ersparen können, dann hätte ich es getan. Das weißt du doch sicher, nicht wahr?«
»Ja, Mutter, natürlich.«
»Manchmal geschehen Dinge in unserem Leben, für die es keine Erklärung gibt. Ich hoffe, das hat nicht deinen Glauben erschüttert, daß Gott immer in deiner Nähe ist.«
»Hat es nicht, diesen Glauben brauche ich im Augenblick dringender als alles andere.«
»Ich werde dich in meine Gebete einschließen. Ich liebe dich, Erin.«
»Ich dich auch. Auf Wiedersehen, Mutter.«
»Auf Wiedersehen.«
Erin legte den Hörer auf, sie haßte es, die liebevolle Verbindung zu der Frau abzubrechen, die ihr ihr Leben gewidmet hatte, auch wenn sie nicht ihre leibliche Mutter war.
Bekümmert ging sie in das Gästezimmer zurück und zog sich für die Beerdigung um. In Houston hatte sie ein schlichtes Halston Kleid aus schwarzer Wolle eingepackt, das sie zu einer Dinnerparty hätte tragen können, wenn es sich ergeben hätte. Statt dessen trug sie es jetzt zu einer Beerdigung. Eine schwarze Strumpfhose und schwarze Wildlederpumps vervollständigten ihre Garderobe. Als Schmuck dienten allein zwei Perlen in ihren Ohren und eine Perlenkette um den Hals.
Erin stand Schwarz sehr gut, es paßte zu ihrem dunklen Haar, den dunklen Augen und ihrer hellen Haut. Doch Melanie hatte dieses Glück nicht. Das schwarze Kleid, das sie
sich von Charlotte Winslow geliehen hatte, hing wie ein Sack um ihren Körper. Ihr helles Haar hatte sie streng nach hinten gekämmt, und das Kleid ließ sie noch blasser erscheinen. Ihre Augen, in denen Erin gelegentlich kindliche Freude hatte tanzen sehen, waren jetzt ausdruckslos und leer.
Ein eigenartiger Zug setzte sich vom Haus aus zur Friedhofskapelle in Bewegung. Erin und Melanie fuhren mit dem unauffälligen Wagen, den das Bestattungsunternehmen ihnen zur Verfügung gestellt hatte. Sie wurden von Melanies Eltern begleitet, die von der ganzen Hektik abgestoßen zu sein schienen. Erin warf ihnen einen geringschätzigen Blick zu und fragte sich, ob die Beerdigung wohl zeitgleich mit einem Bridge-Turnier stattfand oder mit einem Golfspiel, zu dem Melanies Eltern lieber gegangen wären, das sie aber der Umstände halber hatten absagen müssen.
Lance, Mike und Clark folgten ihnen in einigem Abstand in ihrem Regierungswagen.
Melanie schien alle Tränen geweint zu haben, die sie hatte, ehe sie gestern in das Flugzeug gestiegen waren. Nach der Landung, als Lance und Erin sie aufgeweckt hatten, war sie still und in sich gekehrt gewesen, ein wenig abweisend sogar. Die
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