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Schöne neue Welt

Schöne neue Welt

Titel: Schöne neue Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aldous Huxley
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schüttete ihm Sigmund sein Herz aus und ließ sich trösten.
    Erst ein paar Tage später erfuhr er zu seiner Überraschung und nicht ohne einen Anflug von Scham, daß nicht er allein Schwierigkeiten hatte. Auch Helmholtz war mit der Obrigkeit in Konflikt geraten.
    »Anlaß sind ein paar Verse«, erklärte er. »Ich habe wie gewöhnlich für Fortgeschrittene im sechsten Semester über Gefühlsmechanik gelesen. Zwölf Vorlesungen; die siebente geht über Verse. ›Über die Verwendung gebundener Rede in ethischer Propaganda und Moralreklame‹ lautet der genaue Titel. Ich erläutere meine Vorlesung immer mit einer Menge Beispielen aus der Praxis. Diesmal beschloß ich, ihnen eines aus meiner eigenen Werkstatt vorzusetzen. Heller Wahnsinn natürlich, aber ich konnte es nicht lassen.« Er lachte. »Ich war neugierig, zu sehen, wie sie darauf reagierten. Außerdem«, setzte er ernster hinzu, »wollte ich ein bißchen Propaganda treiben und versuchen, in ihnen dieselben Gefühle hervorzurufen, die ich beim Schreiben hatte. Du lieber Ford!« Er lachte wieder.
    »Gab das einen Aufruhr! Der Chef ließ mich kommen und drohte mir mit sofortiger Entlassung. Ich bin ein Gezeichneter.«
    »Wovon handelten deine Verse?«
    »Von der Einsamkeit.«
    Sigmund zog die Brauen hoch.
    »Wenn du willst, sage ich sie dir her.« Und Helmholtz begann:»Gestriges Komitee Trommel, geborsten, stumm.
    Großstadt um Mitternacht Flöten im Vakuum.
    Stehende Dynamos, Lippen, Gesichter im Schlaf; Stille und Stullenpapier, Wo sich die Menge traf.
    Jeglichem Schweigen enttönt's, Weint, laut oder leis, Spricht - wem gehört sie wohl, Stimme, die ich nicht weiß?
    Abwesend Lippenpaar, Brüste und, gut gebaut, Hüften samt Zubehör, Ferne und doch vertraut, Werden allmählich Gestalt.
    Wessen Gestalt? Und gemacht Aus welch vertracktem Stoff? - Daß selbst der leeren Nacht Etwas, das gar nicht ist, Greifbarkeit leiht und Zweck, Während Genuß und Genoss' Schatten nur scheinen und Dreck!
    Nun, also das gab ich ihnen als Beispiel, und sie verpetzten mich beim Chef.«
    »Das wundert mich nicht«, meinte Sigmund. »Es ist doch glatt gegen ihre ganze Schlafschulweisheit. Vergiß nicht, sie sind mindestens zweihundertfünfzigtausendmal vor Einsamkeit gewarnt worden!«
    »Ich weiß. Aber ich wollte die Wirkung sehen.«
    »Nun, jetzt hast du sie gesehen.«
    Helmholtz lachte nur. »Mir ist«, sagte er nach einer Pause, »als begänne ich erst jetzt etwas zu finden, worüber ich schreiben kann. Als wäre ich endlich soweit, die Kraft, die ich in mir fühle, diese überschüssige, schlummernde Kraft, zu verwerten. Irgend etwas scheint über mich gekommen zu sein.« Trotz aller Mißhelligkeiten erschien er Sigmund restlos glücklich.
    Helmholtz und der Wilde waren sogleich die besten Freunde geworden, so innige, daß Sigmund von Eifersucht geplagt wurde. In all den vergangenen Wochen war er mit dem Wilden nie so vertraut geworden, wie Helmholtz es vom ersten Augenblick an war. Wenn er die beiden beobachtete, ihren Gesprächen zuhörte, ertappte er sich manchmal bei dem grollenden Wunsch, sie nie miteinander bekannt gemacht zu haben. Er schämte sich seiner Eifersucht und versuchte, sich teils durch Willensanstrengung, teils durch Soma davon zu befreien. Die Willensanstrengung war jedoch nicht sehr erfolgreich, und die Somaferien dauerten naturgemäß nicht ewig. Das verhaßte Gefühl kehrte immer wieder.
    Bei der dritten Begegnung trug Helmholtz dem Wilden seine Verse über Einsamkeit vor.
    »Was halten Sie davon?« fragte er.
    Der Wilde schüttelte den Kopf. »Hören Sie sich dagegen einmal folgendes an«, erwiderte er, schloß die Lade auf, in der er das von den Mäusen beknabberte Buch aufbewahrte, schlug es auf und las: »Laßt des Vogels lauten Sang Auf Arabiens Baum allein Herold und Posaune sein -«
    Helmholtz lauschte mit wachsender Erregung. Bei »Arabiens Baum« gab es ihm einen Ruck, bei »ahnendem Geschrei« lächelte er freudig überrascht, bei »allen Raubgeflügels Schar« stieg ihm das Blut in die Wangen, aber bei »Sterbeklänge« erblaßte er und erbebte von einem nie gekannten Gefühl. Der Wilde las weiter:»Eigentum - sie hatten keins Oder hatten es zusammen, Einen Geist in zweien Namen Nenn ich weder zwei noch eins.
    Die Vernunft, in sich entzweit, Sah im Tode selbst die beiden Doch nicht voneinander scheiden -«
    »Rutschiputschi, Rutschiputschi!« unterbrach Sigmund, laut und häßlich lachend, die Rezitation. »Genau wie eine

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