Schoene, raetselhafte Becca
Heimlichtuerei bloß entkommen? Einen Moment lang befürchtete sie, sich übergeben zu müssen. Wie oft hatte sie sich in ihrem Leben schon für andere Leute entschuldigen müssen – nur weil ihre Mutter wieder eine Dummheit begangen hatte?
Und jetzt steckte sie wieder in der gleichen Situation. Aber im Gegensatz zu ihrer Mutter, zu der sie jeden Kontakt abgebrochen hatte, als sie sechzehn geworden war, konnte sie ihre Schwester nicht einfach im Stich lassen. Sie hatte doch niemanden außer ihr.
„Gabi kann sehr … theatralisch sein. Außerdem übertreibt sie gern. Vielleicht hat sie ihnen irgendeine kleine Lüge aufgetischt und … die Kontrolle verloren.“
Seine Augen wurden zu schmalen Schlitzen. „Destry behauptet, sie würde bald sterben.“
Verdammt noch mal, Gabi! Sie waren darauf angewiesen, in Pine Gulch zu leben. Ihre Schwester würde weiter mit den Mädchen, die sie belogen hatte, zur Schule gehen müssen. Becca war auf den Job im Gulch angewiesen, wo sie früher oder später den erzürnten Eltern begegnen würde.
Monica hätte ihr etwas Grundlegendes beibringen müssen: Nur ein kranker Vogel beschmutzt sein eigenes Nest.
„Sie wird nicht sterben, das versichere ich dir.“ Vermutlich würde sie es sich aber wünschen, wenn Becca sie erst einmal zur Rede gestellt hatte.
„Nun, da muss ich dir wohl glauben. Diese ganze Angelegenheit erscheint mir jedenfalls sehr … merkwürdig. Irgendwie will es mir nicht in den Kopf, dass ein normales neunjähriges Mädchen sich ganz allein eine solche Geschichte ausdenkt.“
Aha. Jetzt fiel ein Teil des Verdachts also auf sie selbst. Sie musste Gabi auf die Idee gebracht haben. Eine andere Erklärung gab es nicht. Sie steckten beide unter einer Decke. Sie hatten sich vorgenommen, ihre finanzielle Lage durch eine mitleiderregende Geschichte aufzubessern, indem sie an das Mitleid der gutgläubigen Bewohner von Pine Gulch appellierten, und anschließend würden sie bei Nacht und Nebel verschwinden. Sie hätte damit rechnen müssen, dass es so kommen würde.
War es bisher nicht immer so gewesen?
Sein Misstrauen verletzte sie, obwohl sie es ihm streng genommen nicht verübeln konnte. Sie hatte ihn von Anfang an belogen, was Gabi betraf. Also hatte sie auch überhaupt kein Recht, sich verletzt zu fühlen. „Gabi ist kein normales neunjähriges Mädchen“, entgegnete sie so ruhig wie möglich.
„Hat sie schon mal so eine Geschichte erfunden?“
Hunderte Male. Sie seufzte. Wahrscheinlich log Gabi, seit sie sprechen konnte. Höchste Zeit, dass das Mädchen mit diesen schrecklichen Geschichten aufhörte. Aber dafür musste sie zunächst einmal die schlechten Angewohnheiten ihrer ersten neun Jahre hinter sich lassen.
„Sie hat eine lebhafte Fantasie.“ Becca wählte ihre Worte mit Bedacht. „Dadurch gerät sie manchmal in Schwierigkeiten. Es tut mir leid, Trace. Ich werde natürlich mit ihr reden. Sie wird die Sache morgen in der Schule richtigstellen, das verspreche ich dir.“
„Destry hat sich große Sorgen gemacht. Das erklärt vermutlich auch ihr seltsames Verhalten in den vergangenen Wochen. Sie hat kaum noch gegessen und so gut wie nichts mehr unternommen. Sie ist ein sehr mitfühlendes Mädchen, und der Gedanke, dass Gabi sterben könnte, hat ihr ziemlich zugesetzt. Ich wäre nicht überrascht, wenn es den anderen Mädchen genauso ginge.“
„Es war grausam von Gabi, sich ihr Mitleid zu erschleichen. Grausam und falsch. Da gebe ich dir vollkommen recht. Ich verspreche dir noch mal, dass das alles aufgeklärt wird.“
„Schläft sie?“
„Ja. Das sollte ich auch tun. Morgen muss ich ziemlich früh aufstehen.“ Sie erhob sich und hoffte, er würde den Wink mit dem Zaunpfahl verstehen. Bei dem ganzen Stress, den sie hatte, konnte sie die Gegenwart eines Mannes, den sie viel zu attraktiv fand, nicht länger ertragen.
Zu ihrer Erleichterung stand er ebenfalls auf. „Sie ist also wirklich nicht todkrank.“ Seine Bemerkung war gleichermaßen eine Feststellung und eine Frage.
Becca schüttelte den Kopf. „Es geht ihr gut, Trace.“
„Wenigstens das. Die Vorstellung, dass du mit diesen Sorgen allein bist, hat mir ziemlich zu schaffen gemacht.“
Das waren leider nicht ihre einzigen Sorgen. Jedenfalls erinnerte es sie daran, dass es im Leben immer noch ein bisschen schlimmer kommen konnte. Zumindest waren sie und Gabi gesund.
„Danke, dass du gekommen bist und es mir erzählt hast, Trace.“ Sie öffnete die Tür. „Ich werde mich um
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