Schoene, raetselhafte Becca
Gabi kümmern, da kannst du sicher sein.“
Er schien noch etwas auf dem Herzen zu haben. Doch nach kurzem Schweigen nickte er nur, verabschiedete sich mit einem „Gute Nacht“ und verschwand in der eisigen Dunkelheit.
Becca lehnte sich gegen die Tür, sobald sie sie geschlossen hatte. Ihre Gedanken und Gefühle fuhren Achterbahn. Das war ihre Schuld. Sie hatte gespürt, dass mit Gabi etwas nicht stimmte, als sie am Freitag vorzeitig aus der Schule gekommen war und behauptet hatte, ihr ginge es nicht gut. Anstatt das Mädchen sofort zur Rede zu stellen und die Wahrheit aus ihr herauszuholen, war sie den Weg des geringsten Widerstands gegangen. Und jetzt hatten Gabis Lügen sie beide in eine Lage gebracht, aus der sie keinen Ausweg sah.
Würden sie überhaupt in Pine Gulch wohnen bleiben können, wenn Gabis Lügengeschichten sich erst einmal im Ort herumgesprochen hatten? Schon jetzt bedauerte Becca den Verlust.
Vernünftigerweise hätte sie sich eingestehen müssen, dass eine Beziehung zu Trace unmöglich war, aber insgeheim sehnte sie sich noch immer nach ihm. Diese Situation führte ihr mit aller Deutlichkeit vor Augen, dass sie nie mehr als Freunde sein konnten. Er war ein Polizist, der sich der Wahrheit verpflichtet hatte, und sie kam aus einer Familie von Betrügern und Dieben. Am besten packte sie sofort die Koffer und verschwand, auch wenn es ihr das Herz brechen würde.
Obwohl Becca Gabi am liebsten sofort geweckt hätte, nachdem Trace gegangen war, wartete sie bis zum nächsten Morgen. Ihre Auseinandersetzung würde früh genug kommen. Es war besser, sie mit kühlem Kopf und weniger Herzklopfen zu bewältigen.
Stattdessen wälzte sie sich im Bett hin und her und wachte am nächsten Morgen nach wenigen Stunden Schlaf wie gerädert auf.
Gabi saß bereits über ihrer Schale mit Cornflakes, als Becca nach dem Duschen in die Küche kam.
„Guten Morgen.“ Gabi lächelte. Nach dem Wochenende, das sie zum größten Teil im Bett verbracht hatte, schien sie sich viel besser zu fühlen. Becca rief sich ins Gedächtnis, dass tief drinnen in Gabi ein Mädchen steckte, das genauso arglos und unschuldig war wie alle Neunjährigen. Sie brauchte nur eine straffere Hand als die meisten.
Becca holte tief Luft. Jetzt, da der Moment gekommen war, wusste sie nicht, wie sie anfangen sollte. Am besten ist es, mit der Tür ins Haus zu fallen, beschloss sie. „Gestern Abend war der Polizeichef bei mir. Gabi, wir müssen miteinander reden.“
Gabi erstarrte. Der Löffel schwebte auf halbem Weg zwischen der Schale und ihrem Mund. Die Angst flackerte jedoch nur für den Bruchteil einer Sekunde in ihrem Blick auf. Sie legte den Löffel in die Schale, ehe sie sprach. „Die Mädchen haben mir die Sachen gegeben. Ich habe nichts getan. Ich wollte sie ihnen heute zurückgeben, das schwöre ich.“
Becca schloss die Augen. Ihre schlimmsten Befürchtungen waren wahr geworden. Die Mädchen in ihrer Klasse glaubten, Gabi würde sterben, und sie war bestimmt clever genug, die Situation zu ihrem Vorteil zu nutzen. „Welche Sachen?“
Gabi presste die Lippen zusammen, als hätte sie ihre Worte am liebsten zurückgenommen. Nach einer langen Pause griff sie in ihren Ranzen und zog einige Gegenstände heraus, die sie auf dem Küchentisch ausbreitete. Ein iPod, eine Spielekonsole, ein silbernes Handy. Fassungslos betrachtete Becca die Gegenstände.
„Du hast ihnen erzählt, dass du krank bist, nicht wahr? Dass du ein schlimmes Herz hast. Deshalb haben dir deine Klassenkameradinnen diese Sachen geschenkt.“
Gabis Empörung wirkte echt. Ihr Gesicht verzog sich, und eine Träne lief ihr über die Wange. Entweder bereute sie ihre Taten, oder sie war eine glänzende Schauspielerin, die die Rolle der Zerknirschten perfekt beherrschte. „Ich wollte das alles nicht, Becca. Das schwöre ich dir. Ich habe das nicht gewollt.“
„Warum hast du eine so entsetzliche Lüge erzählt?“
„Zuerst war es nur ein Scherz, verstehst du?“
„Nein. Das verstehe ich überhaupt nicht. Erklär mir mal, was an einem schwerkranken Herzen ein Scherz sein soll.“
„An einem Tag hatte ich keine Lust, in die Schule zu gehen. Wir haben mit diesen blöden Medizinbällen gespielt, die ich nicht leiden kann. Deshalb habe ich einem der Mädchen erzählt, ich hätte etwas am Herzen …“
„Warum hast du nicht einfach gesagt, dass du Medizinbälle nicht magst?“
„Ich weiß nicht. Es war dumm. Ich habe mich hinterher auch ganz schlecht gefühlt und
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