Schoene, raetselhafte Becca
Kind, das dringend eine Operation brauchte, hatte er noch nichts gehört. „Was hat sie denn?“
„Ich weiß nicht, wie es heißt, aber es ist irgendwas mit dem Herz. Sie ist immer müde und kann nicht mal in den Ferien mit uns spielen. Sie kann nur ganz still auf der Schaukel sitzen. Findest du das nicht traurig?“
„Sehr traurig“, stimmte er ihr zu. „Welche Freundin ist es denn?“
Sie wich seinem Blick aus und schaute das Pferd an. „Ich habe versprochen, es niemandem zu sagen. Sie möchte nicht, dass die Menschen über ihre Krankheit Bescheid wissen. Deshalb hat sie es in unserer Klasse nur fünf Kindern erzählt. Sonst weiß es keiner.“
Er runzelte die Stirn. „Wirklich? Nicht mal Mrs Hartford?“
„Ich glaube nicht. Sie hat gesagt, dass die Leute sie anders behandeln, wenn sie es herausfinden, und sie möchte ganz normal sein.“
Das klang plausibel, wenn auch ein bisschen merkwürdig. „Du kannst es mir ruhig sagen, Destry. Ich kann ein Geheimnis für mich bewahren. Das gehört schließlich zu meinem Job. Vielleicht kann ich dir helfen, deinen Dad davon zu überzeugen, in diesem Jahr auf die Geschenke zu verzichten, wenn du mich einweihst.“
Nachdenklich kaute sie auf ihrer Lippe. Patches wieherte. Schließlich schüttelte Destry den Kopf. „Ich kann es nicht, Onkel Trace. Ich habe es versprochen.“
„Sieht man ihr die Krankheit denn an?“
„Sie ist immer müde. Freitag war sie so erschöpft, dass sie während des Unterrichts eingeschlafen ist. Am Nachmittag ist sie dann nach Hause gegangen.“
Er starrte sie an, als er sich daran erinnerte, wie Gabi Parsons die Küche von Beccas Haus betreten hatte, den Parka voller Schnee. Sah sie aus wie jemand, der einen Herzfehler hatte? Sie war still und ein bisschen blass gewesen – bis auf die roten Flecken im Gesicht, die von der Kälte stammten.
Hatte Gabi etwa einen Herzfehler? War sie möglicherweise sterbenskrank? Verdammt!
Er dachte daran, wie ernst sie immer aussah und an die bedeutungsvollen Blicke, die sie manchmal mit Becca wechselte. Gut möglich, dass es ihrer Tochter nicht gut ging. Es würde vieles erklären – die Sorge in Beccas Miene, wenn sie das Mädchen anschaute, ihre verzweifelten Versuche, für ihre Tochter zu sorgen, diesen Ausdruck von Angst, fast Hoffnungslosigkeit, die er manchmal bei ihr wahrnahm.
Vieles deutete daraufhin, dass sie eine schwere Zeit durchmachte. Kosten für Arzneimittel wären eine Erklärung. Vielleicht war sie in das Haus ihres Großvaters gezogen, um die Miete zu sparen und so das Geld für eine teure Operation zusammenzubekommen.
Es versetzte ihm einen Stich ins Herz, wenn er daran dachte, welche Ängste Becca bei jeder Untersuchung ausstand, die Gabi über sich ergehen lassen musste. Und dann noch die Vorstellung, dass sie nicht mehr lange zu leben hatte …
Kein Wunder, dass sie ihn nach diesem fantastischen Kuss weggestoßen hatte. Eine neue Beziehung wäre wohl das Letzte, woran sie unter diesen Umständen interessiert war – trotz der gegenseitigen Attraktion. Warum hatte sie sich ihm bloß nicht anvertraut? Er hätte ihr wohl kaum ihre Last abnehmen können, aber manchmal war es schon eine Erleichterung, wenn man nur ein offenes Ohr fand.
„Du wirst es doch niemandem erzählen?“ Besorgt sah Destry ihn an. „Du hast es versprochen. Nicht meinem Dad, nicht Tante Caidy. Keinem!“
Obwohl ihm das Herz wie ein Stein in der Brust lag, zwang er sich zu einem Lächeln. „Was sollte ich denn erzählen? Ich weiß überhaupt nichts – außer dass Genie immer noch gern Äpfel frisst.“
Erleichtert legte sie den Kopf an seine Schulter. Was für ein wundervolles Mädchen, dachte er. In einem Alter, da die meisten Kinder nur an sich dachten und glaubten, die Welt drehe sich einzig und allein um sie, war Destry bereit, auf sämtliche Geschenke zu verzichten, um ihrer Freundin zu helfen.
Wenn Becca wüsste, wie sehr sich Gabis Freunde um sie sorgten. Es würde ihr gewiss in diesen dunklen Stunden voller Sorgen und Ängste helfen.
6. KAPITEL
Becca hatte überhaupt kein Talent für Handarbeiten. Warum also machte sie sich eine Woche vor Weihnachten die Mühe, Gabi einen Schal und eine dazu passende Mütze zu stricken?
Sie ließ eine Masche fallen – die vierte innerhalb weniger Minuten. Ihr Blick fiel auf die Uhr. Obwohl es erst kurz nach neun war, sollte sie besser ins Bett gehen. Um halb sieben begann ihre Schicht im Gulch .
Gabi lag bereits seit einer Stunde im Bett. Sie
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