Schoene, raetselhafte Becca
wollte ihr die Wahrheit sagen, aber …“ Ihre Stimme erstarb, und sie sah ganz elend aus.
„Aber was?“
„Hinterher waren alle so nett zu mir. Sie haben mir kleine Notizzettel mit netten Sätzen geschrieben, etwas zu essen mitgebracht und auf dem Spielplatz auf mich aufgepasst.“ Gabi starrte auf die Tischplatte. „Ich wollte da gar nicht sein. Die Schule fand ich doof. Aber nachdem ich erzählt habe, dass ich krank bin, kam ich mir plötzlich … wichtig vor. Sie haben sogar davon gesprochen, eine Party für mich zu geben. Ich fand das richtig cool.“
„Und dann haben dir die Mädchen iPods und Handys geschenkt und gesagt, sie wollten deinetwegen auf ihre Weihnachtsgeschenke verzichten, um dir das Geld zu geben?“ Ihre Stimme klang scharf und schneidend wie die einer Anwältin, die einen Angeklagten ins Kreuzverhör nahm.
Erschrocken blickte Gabi auf. „Ich habe sie nicht darum gebeten, das schwöre ich“, verteidigte sie sich. „Sie haben es mir einfach so gegeben. Wahrscheinlich haben sie gedacht, dass ich mich dann besser fühle. Ich wollte es ihnen zurückgeben und sagen, dass du mir nicht erlaubst, die Sachen zu behalten.“
„Aber du wolltest ihnen nicht sagen, dass du gelogen hast.“
Das Schweigen ihrer Schwester war Antwort genug. Becca war ebenso enttäuscht wie verzweifelt. „Meine Güte, Gabi, Pine Gulch ist unser neues Zuhause. Wir werden nicht mehr umziehen. Ist dir das nicht klar? Das sind Freunde und Nachbarn und keine Dummköpfe, die man hinters Licht führt. Keine Leute, die man einmal betrügt und hinterher nie wiedersieht. Ich begreife nicht, dass Monica dir das nie klargemacht hat. Was sollen diese Mädchen jetzt von dir denken, wenn sie erfahren, dass das alles gar nicht stimmt? Dass du weder herzkrank bist noch sterben wirst?“
An Gabis entsetzter Miene erkannte sie, dass sie sich über die Konsequenzen ihres Tuns gar keine Gedanken gemacht hatte. Warum auch? Mit Monica hatte sie nie länger als ein paar Monate an einem Ort gelebt. Ihre arme Schwester hatte nie ein normales Leben kennengelernt. Wahrscheinlich hatte sie auch nie Freundschaften schließen können, die länger als ein paar Wochen dauerte. Unter solchen Umständen denkt man natürlich nicht über die Zukunft nach.
Mit ihrer Antwort bestätigte Gabi ihr, dass Becca recht hatte. „Jetzt werden sie wohl nicht mehr meine Freundinnen sein wollen, oder?“
Verflucht! Wie gern hätte sie ihrer Schwester geholfen. Aber das war eines der Probleme, mit denen Gabi allein fertig werden musste. Wie sollte Becca auch in kürzester Zeit wettmachen, was Monica jahrelang versäumt hatte?
Das Einzige, was ihr im Moment so etwas wie Hoffnung gab, war die Tatsache, dass sie unter den gleichen Umständen aufgewachsen war und es dennoch zu etwas gebracht hatte.
„Einfach wird es bestimmt nicht. Versetz dich doch mal in ihre Lage. Du hast sie angelogen. Sie finden es bestimmt nicht toll, dass du sie zum Narren gehalten und mit ihren Gefühlen gespielt hast. Jetzt musst du ehrlich sein – erzähl ihnen dasselbe wie mir. Dass du es nur getan hast, weil du von ihnen gemocht werden wolltest. Glaub mir: Ehrlichkeit bringt dich viel weiter als Lügen und Täuschungen.“
Gabis skeptischem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, schien sie nicht von Beccas Worten überzeugt zu sein.
Becca konnte es ihrer Schwester nicht einmal verübeln.
Auf dem Weg ins Gulch sagte Gabi kein Wort, nachdem sie ihre Schwester eher halbherzig davon zu überzeugen versucht hatte, dass es ihr immer noch nicht besonders gut ging und sie lieber noch einen Tag zu Hause geblieben wäre.
Becca ließ sich jedoch nicht darauf ein. Wenn sie erst einmal in der Schule sei, behauptete sie, würde es ihr schon besser gehen. Im Restaurant setzte sie sich sofort an ihren Lieblingstisch und vertiefte sich in ihr Buch.
Während Becca die Gäste bediente, ließ sie Gabi nicht aus den Augen. Das Mädchen starrte ins Buch, ohne umzublättern. Ein paar Gewissensbisse können nicht schaden, dachte Becca. Sie sollte sich ruhig schämen für das, was sie ihren Freundinnen angetan hatte. Schmerz war nämlich ein strenger, aber wirkungsvoller Lehrer.
Die Tür ging auf, und der Polizeichef von Pine Gulch betrat das Lokal. Bei seinem Anblick schlug Becca das Herz bis in den Hals. Aus den Augenwinkeln beobachtete sie ihn. Statt sich zu anderen Gästen zu setzen, steuerte er sofort auf Gabis Tisch zu. Sie tat immer noch so, als würde sie lesen. Die Schokolade, die Becca vor sie
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