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Schöne Ruinen

Schöne Ruinen

Titel: Schöne Ruinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jess Walter
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einer Geburtsurkunde und einer Geburtsanzeige in einer Zeitung aus Cle Elum, Washington. »Es hat geheißen, dass sie 1962 ungefähr zwanzig war.« Der Detektiv mustert Michael im Rückspiegel. »Aber ihr tatsächliches Geburtsdatum ist Ende 39. Eigentlich keine Überraschung. Zwei Sorten von Leuten schwindeln immer beim Alter: Schauspielerinnen und lateinamerikanische Baseball-Pitcher.«
    Claire schlägt die nächste Seite auf – Michael blickt ihr über die eine Schulter, Pasquale über die andere. Eine Fotokopie aus dem Jahrbuch von 1956 der Cle Elum High School. Sie ist leicht zu erkennen: eine auffallende Blondine mit den markanten Gesichtszügen einer geborenen Schauspielerin. Links und rechts von ihr ist das Abschlussklassenfoto, ein Fest aus schwarzen Brillenrändern und Haarwirbeln, Knopfaugen, Segelohren, Akne, Bürstenhaarschnitten und Beehives. Selbst in Schwarz-Weiß springt einem Debra Moore fast entgegen, weil ihre Augen einfach zu groß und tief sind für diese Schule und diese Kleinstadt. Unter dem Foto: » DEBRA ›DEE‹ MOORE : Cheerleaderin – 3 Jahre, Jahrmarkt prinzessin, Kittias-Musiktheater – 3 Jahre, Schultheater mit Auszeichnung – 2 Jahre.« Alle Schüler haben sich auch ein berühmtes Zitat als Motto ausgesucht (Lincoln, Whitman, Nightingale, Jesus), doch Debra Moores Ausspruch stammt von Émile Zola: Ich bin hier, um laut zu leben.
    »Inzwischen lebt sie in Sandpoint«, erklärt der Detektiv. »Eineinhalb Stunden mit dem Auto. Schöne Fahrt. Leitet dort ein kleines Theater. Heute Abend ist eine Vorstellung. Ich habe Ihnen vier Karten und vier Zimmer im Hotel reserviert. Morgen Nachmittag bringe ich Sie zurück.« Der Wagen steuert auf einen Highway, der steil hinunter nach Spokane und weiter durch die von Plakatwänden und Parkplätzen durchzogene Innenstadt mit niedrigen Ziegel-, Stein- und Glasbauten führt.
    Während der Fahrt lesen sie das Dossier, das zum großen Teil aus Theaterprogrammen und Besetzungslisten besteht: Ein Sommernachtstraum , 1959 aufgeführt von der Theater fakultät der University of Washington, mit »Dee Anne Moore« als Helena. Auf jedem Bild sticht sie heraus, als wären alle anderen in den Fünfzigerjahren erstarrt und nur sie eine moderne, belebte Frau.
    »Sie ist wunderschön«, sagt Claire.
    »Ja.« Michael Deane beugt sich über ihre rechte Schulter.
    »Sì«, bestätigt Pasquale zu ihrer Linken.
    Theaterrezensionen der Jahre 1960 und 1961 aus der Seattle Times und dem Post-Intelligencer preisen »Debra Moore« für verschiedene Bühnenrollen, und der Detektiv hat mit gelbem Leuchstift die Worte »talentierter Neuling« und »glänzende Dee Moore« hervorgehoben. Als Nächstes folgen Fotokopien von Artikeln aus der Seattle Times von 1967, der erste über einen Autounfall mit einem Todesopfer, der zweite ein Nachruf auf den Fahrer Alvis James Bender.
    Ehe Claire den Zusammenhang zu Dee Moray erschließen kann, nimmt Pasquale das Blatt und drückt es Shane Wheeler auf dem Beifahrersitz in die Hand. »Das da? Was ist?«
    Shane liest den kurzen Nachruf. Bender war ein Veteran des Zweiten Weltkriegs und Besitzer einer Chevrolet-Niederlassung im Norden von Seattle. Er zog 1963 in die Stadt, nur vier Jahre vor seinem Tod. Er hinterließ seine Eltern in Madison, Wisconsin, einen Bruder und eine Schwester, mehrere Nichten und Neffen, seine Frau Debra Bender und seinen Sohn Pat Bender aus Seattle.
    »Sie waren verheiratet«, erklärt Shane. »Sposati. Das war Dee Morays Gatte. Il marito. Morto, incidente di macchina.«
    Pasquale ist ganz blass geworden. Er fragt, wann das passiert ist. »Quando?«
    »Nel sessantasette.«
    »Tutto questo è pazzesco«, knurrt Pasquale. Das ist alles verrückt. Ohne ein weiteres Wort sackt er zurück in seinen Sitz, und seine Hand hebt sich langsam zum Mund. Die Mappe scheint ihn nicht mehr zu interessieren, und er starrt mit dem gleichen abwesenden Ausdruck wie im Flugzeug hinaus auf die Einkaufsmeile.
    Claires Blick gleitet von Shane zu Pasquale und wieder zurück. »Was hat er denn erwartet? Dass sie nie heiratet? Fünfzig Jahre lang … das ist ziemlich viel verlangt.«
    Pasquale schweigt.
    »Haben Sie schon mal an eine Fernsehsendung gedacht, wo die Leute ihre alten Highschool-Flammen wiedertreffen?«
    Michael Deane ignoriert Shanes Frage.
    Die nächsten Blätter in der Mappe sind ein Bachelorabschluss an der Seattle University 1970 in Pädagogik und Italienisch, Nachrufe auf Debra Moores Eltern, Testamente,

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