Schöne Ruinen
hat.
»Jedenfalls«, setzt Wheeler hinzu, »bin ich sehr erfreut, Sie kennenzulernen, Mr. Deane. Ihr Buch hat mich sehr beeindruckt.«
Bei der Erwähnung seiner Autobiografie, aus der sein Lektor und sein Ghostwriter einen Leitfaden fürs Pitchen in Hollywood gemacht haben, fährt Michael Deane zusammen. Schroff wendet er sich wieder an Claire. »Was hat der Italiener gesagt … was genau?«
»Was ich Ihnen am Telefon beschrieben habe«, antwortet Claire. »Nicht viel.«
Michael Deane fixiert Shane, als hätte er bei der Übersetzung etwas unterschlagen.
»Äh, ja.« Shane wirft Claire einen Blick zu. »Er hat bloß erwähnt, dass er Sie 1962 getroffen hat. Und dann hat er von dieser Schauspielerin erzählt, die in sein Dorf gekommen ist. Diese Dee …«
Michael hebt die Hand, um Shane davon abzuhalten, den vollen Namen auszusprechen. Mit einem Blick fordert er Claire auf, den Faden aufzunehmen, als verspräche er sich von diesem Dialogwechsel Antworten auf seine Fragen.
»Zuerst dachte ich, er will eine Geschichte über diese Schauspielerin in Italien pitchen«, erklärte sie. »Er hat erzählt, dass sie krank war. Und ich wollte wissen, was ihr fehlte.«
»Ein Tumor«, wirft Michael Deane ein.
»Ja, das hat er gesagt.«
Michael Deane nickt. »Will er Geld?«
»Von Geld war nicht die Rede. Nur davon, dass er diese Schauspielerin finden will.«
Michael fährt sich mit der Hand durch das postnatürlich eingesetzte und gewellte blonde Haar. Mit dem Kinn deutet er auf den Bungalow. »Und jetzt ist er da drin?«
»Ja, ich hab ihm versprochen, dass ich Sie hole. Michael, worum geht es denn da?«
»Worum es geht? Um alles.« Er mustert Claire vom Scheitel bis zu den hochhackigen Schuhen. »Wissen Sie, was meine echte Stärke ist, Claire?«
Sie kann sich nicht vorstellen, wie eine zufriedenstellende Antwort auf so eine Frage lauten könnte.
Zum Glück wartet Michael nicht auf eine Erwiderung. »Ich sehe, was die Leute wollen. Ich habe eine Art Röntgenblick für Wünsche. Frag jemanden, was er sich im Fernsehen anschauen will, und er wird sagen: Nachrichten. Opern. Aus ländische Spielfilme. Aber was guckt er wirklich, wenn man ihm einen Kasten in die Wohnung stellt? Blowjobs und Autounfälle. Und heißt das jetzt, dass die Leute alle dekadente Lügner sind? Nein. Sie möchten Nachrichten und Opern wollen. Aber es ist nicht, was sie wollen. Wenn ich jemanden vor mir habe …«
Wieder fixiert er mit zusammengekniffenen Augen Claires Outfit. »Ich durchschaue seine Wünsche, ich weiß genau, was er wirklich will. Einem Regisseur, der einen Auftrag ablehnt und behauptet, dass es nicht ums Geld geht, biete ich mehr Geld. Einem Schauspieler, der sagt, er möchte in den Staaten arbeiten, um in der Nähe seiner Familie zu sein, besorge ich einen Job in Übersee, damit er von der Familie weggkommt. Diese Fähigkeit hat sich in fast fünfzig Jahren als sehr vorteilhaft erwiesen …«
Er lässt den Satz unvollendet. Tief durch die Nase einatmend lächelt er Shane zu, als hätte er sich gerade erst wieder an ihn erinnert. »Diese Geschichten über Leute, die ihre Seele verkaufen … die versteht man erst, wenn man ein bisschen älter wird.«
Claire ist fassungslos. Sie hat noch nie erlebt, dass Michael derart reflektiert ist und dass er sich als »alt« oder »älter« beschreibt. Wenn Michael etwas Bemerkenswertes an sich hat, hätte sie noch vor einer Stunde gesagt, dann, dass er trotz einer reichhaltigen Vergangenheit nie zurückblickt, nie erwähnt, welche Starlets er gehabt und welche Filme er gemacht hat, sich nie infrage stellt, nie die Veränderung der Kultur, den Tod des Kinos und ähnliche Dinge beklagt, über die Claire und alle anderen in Hollywood ständig jammern. Er liebt, was die Kultur liebt, ihr schieres Tempo, ihre kaltschnäuzige Promiskuität, ihren prinzipienlosen Opportunismus, ihre Fähigkeit, immer noch seichter zu werden. Für ihn kann die Kultur keinen Fehler machen. Gib nie dem Zynismus nach, mahnt er sie stets, glaube an alles. Er ist ein Hai, der unaufhaltsam vordringt in die Kultur und die Zukunft. Und doch steht er jetzt hier mit leerem Blick, als würde er direkt in die Vergangenheit starren, völlig verstört von Ereignissen, die fünfzig Jahre zurückliegen.
Wieder holt er tief Luft und nickt in Richtung Bungalow. »Also los. Ich bin bereit.«
Mit zusammengekniffenen Augen starrt Pasquale Tursi Michael Deane an, als könnte er nicht fassen, dass das derselbe Mann sein soll wie
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