Schöne Ruinen
damals. Sie sitzen im Büro. Michael ist lässig hinter seinen Schreibtisch geglitten, Pasquale und Shane teilen sich die Couch, und Claire hat sich einen Stuhl von draußen geholt.
Michael hat seine dicke Jacke angelassen, und sein Gesicht ist entspannt, doch er windet sich ein wenig auf seinem Platz. »Gut, Sie wiederzusehen, mein Freund.« Michaels Bemerkung zu Pasquale wirkt seltsam unaufrichtig. »Es ist lange her.«
Pasquale nickt einfach. Dann wendet er sich leise an Shane: »Sta male?«
»No.« Shane überlegt, wie er Pasquale erklären soll, dass Michael Deane nicht krank ist, sondern zahlreiche Behandlungen und Operationen hinter sich hat. »Molti … äh … interventi.«
»Was haben Sie ihm gesagt?«, fragt Michael.
»Er, äh … er sagt, Sie sehen gut aus, und ich hab ihm erklärt, dass Sie sich gut pflegen.«
Michael bedankt sich bei ihm, dann spricht er wieder Shane an: »Können Sie ihn fragen, ob er Geld will?«
Bei dem Wort Geld zuckt Pasquale zusammen und verzieht den Mund. »Nein. Ich komme … finden … Dee Moray.«
Michael Deane nickt leicht gequält. »Ich habe keine Ahnung, wo sie ist. Tut mir leid.« Hilfe suchend sieht er Claire an.
»Ich hab sie gegoogelt«, erklärt Claire. »Hab es mit verschiedenen Schreibweisen probiert und in der Internet Movie Database die Besetzungsliste von Cleopatra nachgesehen. Nichts.«
»Wundert mich nicht.« Michael kaut auf seiner Lippe. »Das war nicht ihr richtiger Name.« Er reibt sich über das faltenlose Gesicht und wendet sich nach einem Blick zu Pasquale an Shane. »Bitte übersetzen Sie für mich: Es tut mir sehr leid, wie ich mich damals benommen habe.«
»Lui è dispiaciuto«, sagt Shane.
Mit einem leisen Nicken nimmt Pasquale die Worte zur Kenntnis, ohne sie unbedingt zu akzeptieren. Was auch immer zwischen diesen beiden Männern ist, sinniert Shane, es sitzt tief. Dann summt es, und Claire drückt ihr Handy ans Ohr. Nach kurzem Zuhören spricht sie leise: »Du musst dir dein Hühnchen selbst holen.«
Alle drei Männer starren sie an. Sie schaltet ab. »Entschuldigung.« Sie öffnet den Mund für eine weitere Erklärung, überlegt es sich dann aber anders.
Michael schaut wieder Pasquale und Shane an. »Sagen Sie ihm, dass ich sie finden werde. Das ist das Mindeste, was ich tun kann.«
»Vi aiuterà a … ähm … trovarla.«
Pasquale nickt einfach noch einmal.
»Er soll wissen, dass ich gleich damit anfangen werde. Ich betrachte es als Ehre, ihm zu helfen, als eine Gelegenheit zur Wiedergutmachung, als eine Chance, diese Sache, die ich vor so vielen Jahren ausgelöst habe, endlich zu Ende zu bringen. Und bitte sagen Sie ihm, dass ich nie die Absicht hatte, irgend jemandem wehzutun.«
Shane wischt sich über die Stirn. »Ich bin mir nicht sicher, wie … Ich meine … ähm … Lui vuole fare del bene.«
»Das ist alles?« Claire zieht die Braue hoch. »Er hat fünfzig Worte gesagt, und Sie ungefähr vier.«
Die Kritik versetzt Shane einen Stich. »Ich hab Ihnen doch erklärt, dass ich kein Übersetzer bin. Ich weiß nicht, wie ich das alles ausdrücken soll. Ich hab nur gesagt, er will Gutes tun. «
»Nein, passt schon.« Michael streift Shane mit einem bewundernden Blick, und Shane malt sich kurz aus, wie er mit einem Drehbuchvertrag für diesen Übersetzerjob belohnt wird. »Das ist genau, was ich vorhabe«, erklärt Michael. »Ich will Gutes tun. Ja.« Dann wendet er sich an Claire. »Das ist jetzt unsere höchste Priorität, Claire.«
Fasziniert und ungläubig verfolgt Shane das Ganze. Heute Morgen saß er noch im Keller seiner Eltern; jetzt ist er in Michael Deanes Büro (im Büro von Michael Deane persönlich!) und wird Zeuge, wie der legendäre Produzent seiner Entwicklungsassistentin Befehle zubellt. Mit den Worten des Propheten Mamet: Handle, als hättest du … Also dranbleiben. Zeig Selbstvertrauen, dann reagiert die Welt darauf und belohnt deinen Glauben.
Michael Deane zieht eine alte Rolodex aus einer Schreibtischschublade und dreht sie, während er mit Claire redet. »Ich setze Emmett Byers darauf an. Können Sie Mr. Tursi und den Übersetzer inzwischen in einem Hotel unterbringen?«
»Hören Sie.« Shane Wheeler staunt selbst am meisten über seine Worte. »Ich hab Ihnen gesagt, ich bin kein Übersetzer. Ich bin Autor.«
Alle Blicke richten sich auf ihn, und einen Moment lang zweifelt Shane an seiner eigenen Entschlossenheit, weil ihn die Erinnerung an die dunkle Zeit einholt, die er gerade überstanden hat.
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