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Schöne Ruinen

Schöne Ruinen

Titel: Schöne Ruinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jess Walter
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letzten Ort der Cinque Terre. Im Süden wichen die Berge zurück zum Städtchen Portovenere und dahinter zur Insel Palamaria. Zu beiden Seiten schäumte das Meer an felsige Stellen, und die steilen Hänge erhoben sich zu struppig grünen Kiefern, vereinzelten Obstbaumgruppen und den zerfurchten Anfängen der Weingärten der Cinque Terre. Pasquales Vater hatte oft von den Menschen der Antike erzählt, die an dieser Küste das Ende der scheibenförmigen Welt vermutet hatten.
    »Einfach herrlich.« Dee stand auf dem verlassenen Bunker.
    Pasquale freute sich über ihre Begeisterung. »Ist guter Platz zum Denken, ja?«
    Sie lächelte ihm zu. »Und worüber denkst du hier oben nach, Pasquale?«
    Was für eine merkwürdige Frage; worüber sollte man schon nachdenken? Als Kind hatte er sich hier den Rest der Welt vorgestellt. Jetzt dachte er meistens an seine erste Liebe Amedea, die er in Florenz zurückgelassen hatte; er beschwor noch einmal ihren letzten gemeinsamen Tag herauf und fragte sich, ob er noch etwas anderes hätte sagen können. Doch manchmal beschäftigten ihn hier oben ganz andere Gedanken – an die Zeit und an seinen Platz in der Welt –, große, stille Gedanken, die sich schon auf Italienisch schwer in Worte fassen ließen, vom Englischen ganz zu schweigen. Trotzdem wollte er es versuchen. »Ich denke … alle Menschen in der Welt … und ich nur allein, ja?« Pasquale stockte kurz. »Und manchmal ich sehe den Mond … ja, ist für alle … alle Menschen sehen sie einen Mond. Ja? Hier, Firenze, Amerika. Für alle Menschen, alle Zeit, gleicher Mond, ja?« In ihm stieg das Bild der bezaubernden Amedea auf, die aus dem schmalen Fenster ihres Elternhauses in Florenz zum Mond emporblickte. »Manchmal, dieser gleiche Mond ist gut. Aber manchmal … auch traurig. Ja?«
    Nach kurzem Überlegen begriff sie. »Ja. Das finde ich auch.« Dann fasste sie nach seiner Hand.
    Er war ganz erschöpft, aber auch erfreut, weil es ihm gelungen war, nach zwei Tagen Wie ist Zimmer? und Noch Suppe? in der fremden Sprache etwas Abstraktes und zugleich Persönliches auszudrücken.
    Dee spähte die Küste hinauf. Pasquale wusste, dass sie nach Orenzios Boot Ausschau hielt, und versicherte ihr, dass sie es von hier oben gleich bemerken würden. Mit angezogenen Beinen ließ sie sich nieder und blickte nach Nordosten, wo der Boden besser war als im steinigen Porto Vergogna und sich über die sanften Hänge parallele Reihen von Rebstöcken zogen.
    Pasquale deutete hinunter zu seinem Dorf. »Siehst du diesen Fels? Dort ich baue Tennisplatz.«
    Sie schien verblüfft. »Wo?«
    »Dort.« Sie waren einen halben Kilometer nach Süden gewandert, deshalb war die Gruppe von Felsblöcken hinter dem Dorf kaum auszumachen. »Wird primo Tennis.«
    »Moment mal. Der Tennisplatz soll direkt … in die Klippen?«
    »Zu machen mein Hotel destinazione primaria, ja. Sehr Luxus.«
    »Trotzdem verstehe ich nicht, wo da ein Tennisplatz hinpassen soll.«
    Mit ausgestrecktem Arm beugte er sich zu ihr, und sie drückte die Wange an seine Schulter, um der Sichtlinie seines deutenden Fingers folgen zu können. Die Berührung ihrer Wange war für Pasquale wie ein Stromstoß, und er bekam kaum noch Luft. Eigentlich hatte er geglaubt, dank der romantischen Erziehung bei Amedea die alte Nervosität abgelegt zu haben, die er früher immer im Beisein von Mädchen empfunden hatte, doch jetzt zitterte er auf einmal wie ein Kind.
    Sie konnte es nicht fassen. »Dort willst du einen Tennisplatz bauen?«
    »Ja. Ich mache … flach die Felsen.« Er suchte nach dem richtigen Ausdruck. »Überstehen, ja? Wird ganz berühmt, beste Tennis in Riviera di Levante, numero uno Platz über Meer.«
    »Aber fliegen die Bälle dann nicht einfach … über den Rand?«
    Sein Blick wanderte von den Felsen zu ihr und wieder zurück. Kannte sie das Spiel etwa nicht? »Nein. Die Spieler schlagen Ball.« Er hielt die Hände auseinander. »Diese Seite und diese Seite.«
    »Ja, aber wenn sie nicht treffen …«
    Er starrte sie an.
    »Hast du schon mal Tennis gespielt, Pasquale?«
    Sport war ein heikles Thema für ihn. Obwohl Pasquale mit seinen über eins achtzig im Vergleich zu seiner Familie ziemlich groß war, hatte er in seiner Kindheit und Jugend in Porto Vergogna keinen Sport betrieben; und lange Zeit hatte die Scham darüber großen Anteil an seiner Unsicherheit. »Ich sehe viele Bilder«, erklärte er, »und ich messe von einem Buch.«
    »Wenn der Spieler auf der Meerseite nicht trifft …

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