Schöne Scheine
seinen Kopf hin und her.
»Hmm«, sagte sie und trat einen Schritt zurück. »Es ist, wie ich dachte ...« Mit dem zweiten Gehstock verpasste sie ihm einen Schlag in die Kniekehlen, der ihn wie gemähtes Stroh zu Boden stürzen ließ. Während er benommen auf dem weichen Teppich lag, fuhr Frau Üppig triumphierend fort: »Du bist ein Dieb, ein Betrüger, ein Schlawiner, ein gemeiner Rosstäuscher! Gib es zu!«
»Das bin ich nicht!«, protestierte Feucht matt.
»Auch noch ein Lügner«, rief Frau Üppig fröhlich. »Und ein Hochstapler obendrein, vermute ich. Ach, erspare mir diesen unschuldigen Blick! Ich sagte, du bist ein Schurke, Herr Lipwig! Von dir würde ich mir nicht mal einen Eimer Wasser bringen lassen, wenn mein Unterrock in Flammen stünde!«
Dann stach sie Feucht mit dem Stock schmerzhaft in die Brust. »Willst du etwa den ganzen Tag lang da herumliegen?«, fuhr sie ihn an. »Steh auf, Mann. Ich habe nicht gesagt, dass ich dich nicht mag!«
Mit schwindligem Kopf rappelte Feucht sich vorsichtig wieder auf.
»Gib mir deine Hand, Herr Lipwig«, sagte Frau Üppig. »Postminister? Du bist ein wahres Kunstwerk. Nun komm schon!«
»Was? Oh ...« Feucht griff nach der Hand der alten Frau. Es war, als würde man kaltem Pergament die Hand schütteln.
Frau Üppig lachte. »Ja, klar. Genauso wie der direkte und beruhigende Griff meines verstorbenen Ehemannes. Kein ehrlicher Mann kann einem so ehrlich die Hand schütteln. Warum in aller Welt hast du so lange gebraucht, um dich dem Finanzwesen zu widmen?«
Feucht blickte sich um. Sie waren allein, seine Waden schmerzten, und manchen Leuten kann man einfach nichts vormachen. Das hier, sagte er sich, ist eine resolute alte Dame, wie sie im Buche steht: runzliger Hals, peinlicher Humor, Schadenfreude gepaart mit leichter Grausamkeit und eine unverblümte Redeweise, die mit der Unverschämtheit und vor allem mit dem Flirten flirtete. Sie war für alles offen, bei dem sie nicht das Risiko einging hinzufallen, und ihr Blick dabei besagte: »Ich kann tun und lassen, was ich will, weil ich alt bin. Und ich habe etwas für Schurken übrig.« Alte Damen wie sie waren nur schwer zu täuschen, aber dazu bestand auch gar kein Grund. Er entspannte sich. Manchmal war es erleichternd, die Maske ablegen zu können.
»Zumindest bin ich kein Hochstapler«, sagte er. »Feucht von Lipwig ist mein richtiger Name.«
»Ja, ich kann mir nicht vorstellen, dass du in diesem Punkt die freie Wahl hattest«, sagte Frau Üppig und kehrte zu ihrem Sessel zurück. »Allerdings scheinst du ständig alle zum Narren zu halten. Setz dich, Herr Lipwig. Ich werde nicht beißen.« Diese Worte sagte sie mit einem Blick, der besagte: »Aber gib mir eine halbe Flasche Gin und fünf Minuten, um nach meinen Zähnen zu suchen, und dann werden wir mal sehen!« Sie zeigte auf einen Stuhl neben ihrem.
»Was? Ich dachte, ich wäre entlassen!«, ließ sich Feucht auf das Spiel ein.
»Wirklich? Warum?«
»Vielleicht, weil ich all das bin, was du gesagt hast?«
»Ich habe nicht gesagt, dass du ein schlechter Mensch bist«, sagte Frau Üppig. »Außerdem mag Herr Quengler dich, und er ist ein ungewöhnlich guter Menschenkenner. Außerdem hast du bei unserem Postamt wahre Wunder bewirkt, wie Havelock sagt.« Frau Üppig griff nach unten und hob eine große Flasche Gin auf den Schreibtisch. »Möchtest du etwas trinken, Herr Lipwig?«
»Äh, so früh noch nicht.«
Frau Üppig schniefte. »Ich habe nicht mehr viel Zeit, aber zum Glück habe ich noch sehr viel Gin.« Feucht sah zu, wie sie eine nahezu tödliche Dosis in ein Glas eingoss. »Hast du eine Freundin?«, fragte sie, während sie das Glas hob.
»Ja.«
»Weiß sie über dich Bescheid?«
»Ja. Ich erzähle es ihr immer wieder.«
»Aber sie glaubt dir nicht, was? Ach, so sind Frauen, wenn sie verliebt sind«, seufzte Frau Üppig.
»Ich glaube, dass es ihr eigentlich gar nichts ausmacht. Sie entspricht nicht unbedingt dem Durchschnitt ihrer Geschlechtsgenossinnen.«
»Ach, und sie erkennt, wie du wirklich bist? Oder sieht sie vielleicht nur das sorgfältig konstruierte wahre Ich, das du den Leuten präsentierst, die dich >durchschauen< sollen? Leute wie du ...« Sie hielt kurz inne und setzte noch einmal an. »Leute wie wir haben schließlich immer mindestens ein wahres Ich parat, falls sich andere Leute zu sehr für uns interessieren, nicht wahr?«
Feucht verzichtete auf einen Protest. Das Gespräch mit Frau Üppig war, als würde er vor
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