Schöne Scheine
einem magischen Spiegel stehen, der ihn bis aufs Mark entblößte. Er sagte nur: »Die meisten Leute, die sie kennt, sind Golems.«
»Ach! Große Männer aus Ton, die absolut vertrauenswürdig sind und nichts zu verzollen haben, wenn sie die Hosen runterlassen müssten. Was sieht sie in dir, Herr Lipwig?« Sie piekte ihn mit einem Finger, der dünn wie eine Käsestange war.
Feucht klappte der Unterkiefer herunter.
»Einen Gegensatz, vermute ich«, sagte Frau Üppig und tätschelte seinen Arm. »Und nun hat Havelock dich hierher geschickt, um mir zu sagen, wie ich meine Bank führen soll. Du darfst mich Tüppi nennen.«
»Nun, ich ...« Ihr helfen, die Bank zu führen? So hatte man es nicht formuliert.
Tüppi beugte sich vor. »Ich hatte nie was gegen Honig, weißt du?«, sagte sie und senkte leicht die Stimme. »Ein recht nettes Mädchen, aber dumm wie ein Fass Schweineschmalz. Außerdem war sie keineswegs die Erste. Bei weitem nicht. Ich selber war früher mal Joshuas Mätresse.«
»Wirklich?« Er wusste, dass er alles zu hören bekommen würde, ob er nun wollte oder nicht.
»Aber ja«, sagte Frau Üppig. »Damals haben die Leute viel mehr kapiert. Alles war durchaus akzeptabel. Einmal im Monat habe ich mit seiner Frau Tee getrunken, um seine Termine abzustimmen, und sie sagte immer, sie wäre froh, wenn sie ihn nicht ständig am Hals hätte. Natürlich wurde in jenen Tagen von einer Mätresse erwartet, dass sie über gewisse Fähigkeiten verfügt.« Sie seufzte. »Heute hingegen scheint die Fähigkeit, sich kopfüber um eine Stange schlängeln zu können, völlig auszureichen.«
»Die Ansprüche werden überall geringer«, sagte Feucht. Damit konnte er nur richtig liegen. Das war eine Binsenweisheit.
»Mit dem Bankwesen ist es eigentlich sehr ähnlich«, sagte Tüppi, als würde sie laut nachdenken.
»Wie bitte?«
»Ich meine, der rein körperliche Aspekt dürfte der gleiche sein, »der Stil sollte doch eine gewisse Rolle spielen, meinst du nicht auch? Die Sache sollte Flair haben. Einfallsreichtum darf nicht fehlen. Es sollte ein Erlebnis und nicht bloß reine Funktion sein.
Havelock sagt, dass dir all dies bewusst ist.« Sie bedachte Feucht mit einem fragenden Blick. »Schließlich hast du aus dem Postamt ein geradezu heldenhaftes Unternehmen gemacht, nicht wahr? Die Leute stellen ihre Uhren nach der Ankunft des Gennua-Express. Früher haben sie danach ihren Kalender gestellt!«
»Die Klacker arbeiten immer noch mit Verlust«, sagte Feucht.
»Der herrlich gering ausfällt, während die Menschheit als Ganzes in unterschiedlichster Hinsicht bereichert wird. Und ich hege nicht den leisesten Zweifel, dass Havelocks Steuerbeamte sich auch etwas davon nehmen. Du besitzt die Gabe, Leute zu begeistern, Herr Lipwig.«
»Nun ja, ich ... vielleicht kann ich das wirklich«, stieß er hervor. »Ich weiß, wenn man die Wurst verkaufen will, muss man wissen, wie man das Brutzeln verkauft.«
»Das ist ja gut und schön«, sagte Tüppi, »aber ich hoffe, du weißt, dass du als hervorragender Brutzelverkäufer irgendwann auch in der Lage sein musst, die Wurst herzustellen, hmm?« Sie bedachte ihn mit einem Augenzwinkern, das eine jüngere Frau ins Gefängnis gebracht hätte.
»Zufällig«, fuhr sie fort, »erinnere ich mich, gehört zu haben, dass die Götter dich zu der Schatzkiste führten, die dir beim Wiederaufbau des Postamts gute Dienste geleistet hat. Was ist wirklich geschehen? Tüppi kannst du es sagen.«
Wahrscheinlich kann ich das, entschied er und bemerkte, dass Ihrem Haar, das tatsächlich schon sehr dünn und fast weiß war, immer noch eine Spur von Orange anzusehen war, das auf feurigere Rottöne in der Vergangenheit hindeutete. »Es war die versteckte Beute aus meiner Zeit als Schwindler«, sagte er.
Frau Üppig klatschte in die Hände. »Wunderbar! Eine echte Wurst! Das ist so ... befriedigend. Havelock hatte schon immer ein gutes Gespür für Leute. Er hat große Pläne für die Stadt, musst du wissen.« »Das Projekt«, sagte Feucht. »Ja, ich weiß davon.«
»Unterirdische Straßen, neue Hafenbecken und so weiter«, sagte Tüppi, »und dafür braucht die Regierung Geld, und Geld braucht Banken. Bedauerlicherweise haben die Leute ihr Vertrauen in die Banken verloren.«
»Warum?«
»Hauptsächlich, weil wir ihr Geld verloren haben. Allerdings nicht absichtlich. In den letzten Jahren mussten wir schwere Schläge einstecken. Die Krise ’88, die Krise ’93, die Krise ’98 ...
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