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Schöne Scheine

Schöne Scheine

Titel: Schöne Scheine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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gemacht hatte, oder aus Enttäuschung, dass er keinen Fehler gefunden hatte.
    Das Blatt war mit Berechnungen übersät, und kein Sterblicher hätte alles mit einem Blick überprüfen können. Aber Feucht hätte keinen Cent darauf verwettet, dass Beuge nicht jede Zeile begutachtet hatte.
    »In diesem Raum hier befinden wir uns im Herzen der Bank«, sagte der Hauptkassierer stolz.
    »Im Herzen«, wiederholte Feucht verständnislos.
    »Hier berechnen wir die Zinsen und Gebühren und Hypotheken und Kosten und ... eben alles, um genau zu sein. Und wir machen keine Fehler.«
    »Was, niemals?«
    »Oh, es gibt schon hin und wieder mal jemanden, der sich verrechnet«, räumte Beuge widerwillig ein. »Zum Glück überprüfe ich jede Berechnung. An mir kommt kein Fehler vorbei, darauf kannst du dich verlassen. Ein Fehler, Herr, ist schlimmer als eine Sünde, und zwar weil eine Sünde häufig nur Ansichtssache ist oder vom Zeitpunkt abhängt, aber ein Fehler ist eine Tatsache und schreit nach Korrektur. Wie ich sehe, ziehst du keine verächtliche Miene, Herr Lipwig.«
    »Nein? Ich meine natürlich: nein!«, sagte Feucht. Verdammt. Er hatte die uralte Weisheit vergessen: Wenn du genau beobachtest, gib Acht, das du nicht genau beobachtet wirst.
    »Aber du bist nichtsdestotrotz entsetzt«, sagte Beuge. »Du benutzt Worte, und wie ich höre, bist du darin recht gut, aber Worte sind etwas Weiches und können von einer geschickten Zunge zu verschiedenen Bedeutungen geformt werden. Zahlen sind unnachgiebig. Sicher, man kann damit betrügen, aber ihr Wesen kann man nicht verändern. Eine Drei ist eine Drei. Man kann sie nicht überzeugen, eine Vier zu sein, selbst wenn man ihr einen dicken Kuss gibt.« Irgendwo im Saal war ein leises Kichern zu hören, aber Herr Beuge schien es nicht zu bemerken. »Und sie sind recht unversöhnlich. Wir arbeiten hier sehr hart an Dingen, die erledigt werden müssen«, sagte er. »Und hier sitze ich, genau im Zentrum ...«
    Sie hatten das große Stufenpodest in der Mitte des Raums erreicht. In diesem Moment schob sich eine dünne Frau in weißer Bluse und langem schwarzem Rock respektvoll an ihnen vorbei und legte behutsam einen Stapel Papier in einen Korb, in dem sich bereits die Dokumente türmten. Sie blickte zu Herrn Beuge auf, der »Danke, Fräulein Gardinia« sagte. Er war zu sehr damit beschäftigt, auf die Wunder des Podests hinzuweisen, auf dem ein halbkreisförmiger Schreibtisch von ausgefeiltem Design platziert worden war, um den Ausdruck wahrzunehmen, der über ihr kleines blasses Gesicht glitt. Aber Feucht nahm ihn wahr und las darin tausend Worte, die sie wahrscheinlich in ihrem Tagebuch niedergeschrieben und noch nie jemandem gezeigt hatte.
    »Siehst du?«, sagte der Hauptkassierer ungeduldig.
    »Hmm?«, sagte Feucht, der zusah, wie die Frau davoneilte.
    »Hier, schau dir das an!«, sagte Beuge, setzte sich und zeigte beinahe enthusiastisch mit dem Finger auf den Schreibtisch. »Mittels dieser Fußhebel kann ich meinen Schreibtisch in jede beliebige Richtung drehen! Das Panoptikum meiner kleinen Welt. Nichts entgeht meinem Blick!« Er trat hektisch auf das Pedal, und das gesamte Podest rotierte rumpelnd auf der Drehscheibe. »Und ich kann ihn sogar mit zwei verschiedenen Geschwindigkeiten bewegen, wie du siehst, weil es hier dieses geniale ...«
    »Ich sehe, dass fast nichts deinem Blick entgeht«, sagte Feucht. »Aber es tut mir leid, dass ich dich von der Arbeit abhalte.«
    Beuge warf einen Blick auf den Eingangskorb und zuckte mit den Schultern. »Dieser Haufen? Dafür brauche ich nicht lange«, sagte er, zog die Handbremse an und stand auf. »Außerdem halte ich es für sehr wichtig, dass du verstehst, worum es hier bei uns eigentlich geht, weil ich dich jetzt zu Hubert bringen muss.« Er hüstelte leise.
    »Aber Hubert ist  nicht  das, worum es hier geht?«, fragte Feucht, bevor er sich auf den Rückweg zur Schalterhalle machte.
    »Ich bin überzeugt, dass er es gut meint«, sagte Beuge und ließ die Worte wie eine Schlinge in der Luft hängen.
    Draußen in der Halle herrschte weiterhin ehrfürchtige Stille. Ein paar Leute standen an den Schaltern, eine alte Dame sah zu, wie ihr kleiner Hund aus der Messingschüssel neben der Tür trank, und jedes gesprochene Wort wurde in angemessenem Flüsterton geäußert. Feucht war von Geld begeistert, es gehörte zu seinen Lieblingsdingen, aber für ihn musste es nichts sein, worüber man nur sehr leise redete, um es nicht aufzuwecken. Falls

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