Schöne Zeit der jungen Liebe
immer! Jocelyn mochte auf anderen Gebieten ein guter Denker sein, aber schnelle Manövrierfähigkeit war nicht seine Stärke, dazu brauchte er Zeit. Außerdem hatte er das Gefühl, der bei Charles genossene Kognak vernebele ihm das Gehirn. »Na, immerhin habe ich ihm eine gelangt, als ich es erfuhr«, meinte er etwas lahm.
»Ja, allerdings. Ich traute meinen eigenen Augen nicht. Ausgerechnet du führst dich auf wie ein betrunkener Seemann!«
»Das habe ich nicht getan«, sagte er gekränkt.
»Aber natürlich.«
Sie starrten einander böse an. Er ging immer noch unsicher im Zimmer umher. »Es war purer Atavismus«, sagte er. »Ich habe ihm erzählt, wie ich dich einmal in den Ellbogen gebissen habe.«
Jetzt sprang sie auf, wütend. »Also, das ist doch die Höhe! Du setzt dich hin und trinkst mit dem Mann, der mir erst vor ein paar Tagen zu nahegetreten ist, und dann erzählst du ihm auch noch intime Einzelheiten von uns. Ihr müßt es ja sehr gemütlich gehabt haben!«
»So war es gar nicht. Weißt du noch, du hast dich umgedreht und mir aus Versehen den Ellbogen in den Mund gestoßen, und ich habe dich gebissen.«
»Natürlich weiß ich das noch. Ich habe ja noch die Narben.«
Sie standen einander gegenüber, beide zornig und erregt. Doch beide haßten die Schlacht, und wie Soldaten, die das Ende der Schlacht herbeisehnen, wußten beide, daß es nicht in ihrer Macht stand aufzuhören.
Und plötzlich fiel ihm ein Grund zum Grollen ein, den er fast vergessen hatte. Er sagte: »Ich finde, ich habe es nicht verdient, es zuerst von Amanda und von meinem Vater zu erfahren.«
»Du glaubst doch nicht im Ernst«, sagte sie und mußte nach Luft schnappen vor Zorn, »du glaubst doch nicht im Ernst, daß ich es dir verheimlichen wollte? Du bist wirklich ein Schafskopf, Jocelyn.«
»Na, du hast dir jedenfalls reichlich Zeit gelassen.«
»Was sollte ich denn tun? Hätte ich zu dir rauflaufen und dir sagen sollten, daß Charles mich geküßt hatte?«
»Nein, aber - wir haben doch immer - ich dachte, du würdest zu mir kommen, und wir könnten ruhig und vernünftig darüber sprechen.«
»Ruhig und vernünftig - das mußt du gerade sagen!«
Er ignorierte die Bemerkung. »Es sah dir so gar nicht ähnlich, es für dich zu behalten, May.« Er sagte es vorwurfsvoll, aber nicht mehr zornig.
Warum hatte sie es für sich behalten? Sie wußte es wirklich nicht. Aber sie wußte, daß sie taktisch dadurch im Nachteil war. Sie tat einen Schritt auf ihn zu. Er sah sie erstaunt an. Aber sie legte die Arme um seinen Hals, drückte den Kopf an ihn und sagte: »Oh, Jocelyn, mir ist so scheußlich zumute.«
Jocelyn war von Natur aus großmütig. »Komm, setz dich hin«, sagte er liebevoll. Sie setzten sich nebeneinander auf das kleine Sofa. Dann stand er wieder auf, ging zur Anrichte hinüber und brachte ihr einen trockenen Martini. »Was ist denn?« fragte er besorgt. Es kam nicht oft vor, daß May um Hilfe bat.
Sie trank ein Schlückchen und sah ihn mit einem schwachen, aber dankbaren Lächeln an. »Ach, so vieles«, sagte sie.
Er wartete geduldig. Sie sagte: »Diese Deutsche. Ich kam mir so klein vor ihr gegenüber. Und so billig.«
Er drückte ihre Hand. »Was ist denn passiert, Liebes?«
»Sie hat Christine abgeholt. Und mir indirekt Vorwürfe gemacht. Ach, ich hab alles falsch gemacht, Jocelyn. Schon als Christine ankam, hab ich’s falsch gemacht. Nicht gleich alles in Ordnung gebracht wie früher.« Sie leerte ihr Glas. »Ich werde alt. Früher hab ich immer gleich alles in Ordnung gebracht, und du weißt das.«
Er holte ihr noch einen Martini.
»Und Gaylord hab ich auch nicht richtig behandelt«, fuhr sie kleinlaut fort. »Wir konnten nicht miteinander sprechen. Ich konnte ihm nicht helfen - er ließ mich nicht.« Sie sah ihn flehend an. Er schwieg. Sie sagte: »Immer habe ich genau gewußt, was ich ihm zu sagen hatte. Und jetzt plötzlich nicht mehr.«
»Das ist nicht deine Schuld«, sagte Jocelyn. »Die Kinderwachsen heran. Und irgendwann schließen sie sich ein und wollen keine Hilfe.« Er saß da und sah sie an mit dem nachdenklichen, abwesenden Ausdruck, den sie so gut kannte. »Sie wollen uns nicht mehr -sie nehmen uns übel, daß sie von uns abhängig waren. Sie möchten uns los sein, bis wir eines Tages, in zwanzig oder dreißig Jahren, von ihnen abhängig sind. Dann werden sie’s uns heimzahlen: freundlich, gewissenhaft, souverän.«
May sah ihn erstaunt an. »So ist Gaylord nicht«, sagte sie
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