Schöne Zeit der jungen Liebe
tonlos.
»Es geht nicht um Gaylord oder um uns. Es sind die Generationen.«
»Du redest Unsinn«, sagte sie ohne Überzeugung.
»Mag schon sein. Schuld ist der Kognak, den ich bei
Charles getrunken habe. Aber ich kann mir nicht helfen, ich denke, ich könnte recht haben.«
Sie sah ihn fast furchtsam an. »Es gibt noch einen Grund, warum mir so scheußlich zumute ist, Jocelyn.«
»Ja?«
Langsam sagte sie: »Innerlich habe ich es genossen, daß Charles mich küßte.«
»Möchtest du noch einen Martini?«
»Ja, bitte.«
Er brachte ihr das gefüllte Glas, setzte sich und nahm ihre freie Hand in seine beiden Hände. »Du liebst ihn - ist es das?«
»Nein. Natürlich nicht. Bloß - na ja, in meinem Alter ist es ganz schmeichelhaft, wenn ein Mann wie Charles einen liebt. Irgendwie hat man das Gefühl, man müsse es auskosten, weil es nie wiederkommen wird. Nie. Nie. Nie. Und man meint, wenn man später nach vielen Jahren daran zurückdenkt, wird’s einem vielleicht leid tun, daß man so feige war.«
»Oder man ist froh und dankbar«, sagte er ruhig.
Sie sahen einander ernst an. Sie sagte: »Etwas Merkwürdiges ist heute nachmittag passiert, und es hat mich irgendwie durcheinandergebracht. Charles und ich saßen unter den Ulmen und unterhielten uns.« Er zog die Augenbrauen hoch und sah sie an, aber sie fuhr fort: »Und auf einmal war ein Rascheln in einer der hohen Ulmen, und ein Vogel fiel herab, beinah uns vor die Füße. Er hob die Flügel und den Kopf - wie der Phönix auf alten Bildern, verstehst du? Und dann - fiel er um und starb. Es hat mich furchtbar erschreckt.«
»Ja, das kann ich mir vorstellen.«
»Es war ein Omen. Aber wofür?«
Er sah sie beunruhigt an. May hatte bisher immer mit beiden Füßen auf der Erde gestanden und nie viel von Omen gehalten. Aber - eine treue Ehefrau, die plötzlich allein war mit einem Mann, von dem sie sich stärker angezogen fühlte, als sie für recht hielt... Eine schöne Frau, die zum erstenmal spürte, daß Schönheit vergänglich war... Konnte eine solche Frau nicht doch Angst haben vor einem plötzlichen Omen? »Ja, wofür?« sagte er.
»Für den Tod vielleicht? Ein Vogel, der eben noch im hellen Sonnenlicht fliegt oder hoch oben auf den grünen Zweigen eines Baumes sitzt... und gleich darauf liegt er im Staub. Sollten wir nicht im Licht fliegen, solange wir können, Jocelyn?«
Er schüttelte den Kopf. »Wir sind keine Vögel, May. Wir müssen auf der Erde bleiben. Etwas anderes gibt es für uns nicht.«
Sie lehnte den Kopf an seine Schulter. »Oh, Jocelyn, ich liebe dich. Aber dieser Vogel - er war so schön! Schlank, die Federn grau und blau. Und vollkommen. Und dann
Gaylord hatte noch nie an Schlaflosigkeit gelitten. Aber heute nacht hörte er die Uhr elf schlagen, dann zwölf, und jetzt war es sicher schon bald eins. Er spähte nach dem vertrauten Leuchtzifferblatt seiner Uhr. Zwanzig nach zwölf. Wann wurde es hell? In vier, fünf Stunden. Nein, so lange hielt er das nicht aus! Ihm war elend zumute.
Auch Liz Bunting lag wach. Was spielte es für eine Rolle, daß Christine jetzt nach Deutschland zurückkehrte? Mrs. Pentecost würde es nicht zulassen, daß ihr Sohn weiterhin mit der Tochter des Mannes zusammenkam, der sie belästigt hatte. Hoffentlich traf sie die Pentecosts nie wieder. Sie konnte ihnen nicht mehr in die Augen sehen.
Charles Bunting ging nach unten und machte sich eine Tasse Tee. Nase, Augen, Lippen und Zähne schmerzten noch, und er hatte immer noch den Geschmack von Blut im Mund. Hoffentlich lag da nicht doch eine ernste Verletzung vor! Wie leicht wurde so etwas vernachlässigt, und dann stand der Arzt vor einem, zog die Brauen hoch und sagte: Tja, mein Lieber, wären Sie vor einem Jahr zu mir gekommen... Jetzt ist es leider, leider zu spät!
Er saß am Küchentisch und trank einen Schluck Tee. Die aufgesprungenen Lippen schmerzten wieder. Die Küche sah kahl und unpersönlich aus wie jede Küche um ein Uhr nachts. Draußen war es warm, aber ihn fröstelte. Fieber? Er holte das Thermometer. 36,7. Aber er hatte schon seit einiger Zeit das Gefühl, daß das Quecksilber steckengeblieben war.
O Gott, wie einsam er war! Ein Mann wie er brauchte eine Frau im Haus. Er war empfindsam, und er war ein Künstler - er brauchte zärtliche Fürsorge und Ermutigung und liebevolles Verständnis.
Er hätte Liz um nichts in der Welt aus dem Schlaf gerissen, aber er war doch ein klein wenig gekränkt, daß sie nicht gehört hatte, wie er
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