Schöne Zeit der jungen Liebe
sie.
»Keinen Schimmer hat er«, sagte Amanda befriedigt.
May sah, daß sie noch einiges vor sich hatte, ehe der Tag zu Ende ging. Sie mußte mit Jocelyn sprechen, der sich wie ein Höhlenmensch aufgeführt hatte, sie mußte ihrem Sohn etwas mitteilen, das ihn sehr enttäuschen würde, und sie mußte sich ihre zehnjährige Tochter vorknöpfen, die gegen den englischen Sittenkodex verstoßen und gepetzt hatte. Etwas viel, dachte sie. Nun, Amanda konnte warten. May küßte sie zerstreut und sagte: »Schlaf jetzt. Wir sprechen uns morgen.« Sie ging nach unten und machte sich einen Becher Kakao zurecht, den sie gerade ins Wohnzimmer trug, als die hintere Haustür aufging. Sie drehte sich um. Es war Gaylord: Er lächelte selig und entrückt.
Gaylord war, als er zu seinem Spaziergang aufbrach, durch den Obstgarten gegangen bis hinunter zu dem Weg, der am Fluß entlangführte.
Der große Birnbaum, unter dem er mit Christine gesessen hatte, trug jetzt einen Heiligenschein aus funkelnden Sternen.
Die Nacht war dunkel. Auf der Straße näherte sich ein Auto mit weit aufgeblendeten Scheinwerfern. Etwas spät für Gäste, dachte er. Aber was interessierte ihn das... Christine hatte ihn geküßt! Und sie wollte bleiben, wenn seine Mutter es erlaubte. Mum war gutmütig. Wenn er mit ihr sprach und ihr erklärte, daß er und Christine ohne einander nicht leben konnten... Sie hatte ihn geküßt! Plötzlich drängte es ihn zu rennen, zu schwimmen, tief unterzutauchen in den sternenbeglänzten Fluß und mit allen Kräften seines Körpers die Wellen zu zerteilen. Er wollte laut rufen, schreien, die erhabenen Sterne herausfordern - was wußten sie von der Liebe? Er war ein Geschöpf der Erde, gewiß, und doch größer als alle Sterne, denn ein Mädchen liebte ihn.
Er fing an zu laufen, immer schneller. Aber die Dunkelheit hinderte ihn. Da fiel ihm sein Boot ein.
Er tastete sich am Bootssteg entlang, machte das Boot los und stieß ab. Er begann flußaufwärts zu rudern, hastig und ungeschickt, aber glücklich. Er ruderte wie wild drauflos, bis die Anstrengung ihn ein wenig beruhigte. Dann zog er die Ruder ein und legte sich zurück. Es war noch warm. Der Fluß plätscherte sanft. Am Ufer graste ein Pferd. Die Sterne waren überall: hell im Zenit, dunstig am Horizont, auf und ab tanzend im schwarzen Wasser neben ihm. Er lag inmitten der Sommernacht, eingehüllt von seiner Sehnsucht nach der Geliebten, entflammt von der Liebe. Er war ein Teil des Lebens, das ihn umgab...
»Willst du auch einen Becher Kakao?« fragte May. Es war vielleicht nicht der Gruß, den Shakespeare einer Mutter in den Mund gelegt hätte, die im Begriff war, ihrem Sohn einen Stich ins Herz zu versetzen. Aber es war eine praktische Frage. Sie ging wieder in die Küche. Gaylord folgte ihr langsam. »Ist Christine schon im Bett?« fragte er. Es sollte beiläufig klingen, aber seine Mutter konnte er nicht täuschen.
»Nein... nein«, sagte May und goß heiße Milch in den Becher.
»Wo ist sie?«
May rührte noch einmal um und gab ihm den Becher. »Komm mit ins Wohnzimmer«, sagte sie.
Sie gingen hintereinander ins Wohnzimmer, jeder vorsichtig mit seinem Becher in der Hand, wie Kinder. May setzte sich in einen Sessel, Gaylord hockte sich auf die Kante eines Tischchens. »Vater bleibt ja lange fort«, sagte sie.
Er trank einen Schluck Kakao und sah sie unruhig an. »Wo ist Christine?« fragte er noch einmal.
»Junge, Mr. Chippendale hat das Tischchen da nicht gemacht, damit sich im zwanzigsten Jahrhundert ein großer Junge daraufsetzt.« Sie klopfte auf ihre Sessellehne. »Komm, setz dich zu mir.«
Irgend etwas war los, ihre Stimme klang nicht wie sonst. Er trat zu ihr und setzte sich auf die Lehne. Sie nahm seine Hand und drückte sie. »Sie ist nach Deutschland zurück, Gaylord.«
Die Stille im Raum war fast erdrückend. Sie blickte auf und sah zum erstenmal im Gesicht ihres Kindes das Gesicht eines Mannes. »Ihre Mutter ist hergekommen und hat sie abgeholt.«
»Aber sie war doch noch hier vor einer Stunde. Sie kann doch nicht...«
»Sie bleiben die Nacht über in Ingerby im Hotel. Morgen vormittag fliegen sie zurück.«
»Aber...«
»Du bist in sie verliebt, nicht wahr?«
Er wurde blutrot. »Nein, nein, das nicht.« Was für eine Idee! Er sah aus, als begriffe er kaum, wovon seine
Mutter redete. Nach einer angemessenen Pause fragte er: »Hat sie - hat sie irgend etwas gesagt?«
»Nein.«
Schweigen. Dann: »Ja, ich glaube, dann werde ich
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