Schoener Schlaf
Eindruck, der Arzt sei sehr erstaunt.
»Was veranlasst Sie zu dieser Frage?«
»Ich führe Ermittlungen durch, in denen dieser Todesfall eine Rolle spielen könnte.«
»Die Schweigepflicht geht über den Tod hinaus, Herr Kommissar«, sagte der Arzt. »Das dürfte Ihnen nicht neu sein.«
»Nicht, wenn ein Verbrechen vermutet wird. Also â woran ist Luise Kranach gestorben?« Kants Ton war schärfer geworden.
»Auf dem Totenschein steht Marasmus senilis. Das bedeutet: Altersschwäche. Oder einfach: Tod, weil das Leben nun mal nicht ewig währt.«
»Haben Sie weitergehende Untersuchungen durchgeführt?«
»Nein. Dazu gab es keinen Anlass. Natürlich habe ich mir den Körper angesehen. Eine Schuss- oder StoÃverletzung und andere Verletzungen, die auf Gewalt hindeuten, waren nicht zu erkennen.«
»Kam der Tod von Frau Kranach für Sie überraschend?«
»Das schon, sie war eigentlich noch recht gut zuwege, die alte Dame, aber sie war eben alt«, erklärte der Arzt. »Achtzig ist zwar noch unter dem Wert der Lebenserwartung für Frauen, aber nah dran.«
»Ist Herr Fabry eigentlich auch Ihr Patient?«, fragte Kant.
»Ja. Ich bin hier am Ort der einzige Allgemeinmediziner. Aber sparen Sie sich weitere Fragen. Ich werde Ihnen keinerlei Auskünfte über Herrn Fabry geben.«
Auf dem Weg zurück zum Präsidium rief Kant beim Oberstaatsanwalt an.
»Herr Dr.  Kemper«, begann Kant höflich, aber bestimmt. »Ich möchte eine alte Dame exhumieren lassen.«
»Welche alte Dame und warum?«
»Es geht um die Schneiderin, die das Kleid genäht hat, in dem Maja Schneider ermordet aufgefunden wurde.«
»Warum sollten wir die wieder ausgraben?«, fragte Kemper.
»Nun ja, sie kam ganz kurz nach Maja Schneider zu Tode. Eine Obduktion wurde nicht durchgeführt.«
»Wie starb sie?«
»Angeblich an Altersschwäche. Darum wurde ja nicht obduziert. Und als ich von ihrem Tod erfuhr, war sie schon begraben.«
»Und diese alte Dame soll Maja Schneider getötet haben?«
»Nein. Ich ermittle gegen den Neffen. Er könnte seine Tante aus dem Weg geräumt haben. Vielleicht wusste sie zu viel.«
»Hm. Dass eine alte Frau stirbt, ist ja nicht ungewöhnlich. Für eine Exhumierung brauchen wir einen begründeten Verdacht gegen den Mann. Wie ist denn die Faktenlage?«
»Schwach.« Kant gab seinem Vorgesetzten eine kurze Zusammenfassung der Ereignisse.
»Das ist zu dünn, Herr Kant. Bringen Sie mir mehr. So kann ich die Exhumierung nicht anordnen.«
Im Präsidium versammelte Kant seine Mitarbeiter und informierte sie über seine Unternehmungen am Morgen.
»Wieso beobachtet der Kerl diese Anna Stern?«, fragte Akif. »Deiner Beschreibung nach ist die Frau doch eher nicht das Beuteschema des Mörders.«
»Vielleicht ist er die blonden Frauen leid«, meldete sich Weingarten zu Wort. »Soll ich mir den Typen mal vornehmen? So von Mann zu Mann?«
»Was schwebt dir da genau vor?«, fragte Kant.
Weingarten war nicht zimperlich, hatte einige Jahre undercover gearbeitet und konnte in fast jede Rolle schlüpfen.
»Ich geb mich als Freund dieser Frau Stern aus und schüttel den Kerl ein bisschen.«
»Lass mich erst mit Frau Stern sprechen.«
Eine halbe Stunde später saà Anna Stern in Kants Büro. Am Telefon hatte er ihr nur erzählt, dass er in der Sache weitergekommen sei. Auf dem Weg von der Kunsthalle zum Polizeipräsidium war ihre Nervosität gestiegen.
»Der Mieter des Campers heiÃt Leon Fabry«, teilte Kant ihr ohne Umschweife mit.
»Ich ahnte es.« Sie atmete tief aus.
»Sie kennen den Mann?«
»Kennen? Ich bin ihm mal vor die FüÃe gefallen.« Sie erzählte die Geschichte vom Treppensturz, dem Präsentkorb, dem Brief und der unerfreulichen Begegnung am See.
»Hat Fabry Sie sexuell bedrängt?«, kam Kant auf den Punkt.
»Nein.« Sie lächelte amüsiert. »Er ist ein ziemlich verschrobener einsamer Mann, denke ich. Er kann nicht im Ernst glauben, dass ich mich mit ihm einlasse.«
»Manche Menschen haben eine gestörte Eigenwahrnehmung«, entgegnete Kant. »Sagt Ihnen der Name Maja Schneider etwas?«
»Ja, natürlich. Die ermordete Frau«, rief Anna aus. »Ich hab davon in der Zeitung gelesen und in der Kneipe, in der ich jobbte, wurde auch
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