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Schönes Chaos: Mein wundersames Leben (German Edition)

Schönes Chaos: Mein wundersames Leben (German Edition)

Titel: Schönes Chaos: Mein wundersames Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benoît B. Mandelbrot
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aufforderte, sich der Praxis zuzuwenden. Nachdem ich 1958 per Zufall dort angekommen war, blieb ich, weil ich kein passenderes Angebot erhielt, und kam schnell voran. Für beide Seiten war das Spiel sehr erfolgreich. Innerhalb von drei Jahren hatte ich zwei bedeutende Entdeckungen gemacht – zwei Hauptgewinne nacheinander! Jeder brachte mir eine Gastprofessur auf einem Gebiet ein, von dem ich fast nichts wusste: zunächst in den Wirtschaftswissenschaften (später als Finanzwesen bezeichnet) und dann auf dem Gebiet der exotischen Geräusche.
    Meine Rolle als Berater für »bodenständigere« Kollegen war variabel und zumeist erfreulich. In vielen Fällen war ich nur ein vorübergehender Helfer. Bei einer unvergesslichen Gelegenheit bat mich jedoch ein Kollege – der Physiker Jay M. Berger – um Hilfe. Es ging um einige äußerst nervtötende Störgeräusche in Telefonleitungen. Unsere Lösung ersparte IBM eine beträchtliche Investition in eine zum Scheitern verurteilte Entwicklung. Diese Episode lenkte mich auch zu einem wissenschaftlichen Gegenstand, den ich sonst mit Sicherheit vermisst hätte.
    Ansonsten wirkte sich die Beratertätigkeit kaum auf meine Beiträge zu diversen realen Wissenschaftsgebieten aus – oder höchstens auf eine neue Wissenschaft der Rauheit. IBM gab mir die Basis, die alles andere möglich machte. Dies gestattete entscheidende Besuche in Harvard und Yale und andere Arrangements, wo eines zum anderen passte. Es erlaubte mir auch, mich mühelos zwischen Wissensgebieten und organisierter Wissenschaft zu bewegen. Daraus folgt selbstverständlich nicht, dass diese Jahre ein Paradies auf Erden waren! Während der 35 ruhmreichen Jahre, in denen IBM sich als wissenschaftliches Kraftwerk darstellte, kannte der Alltag unzählige negative Aspekte, die vermeidbar gewesen wären. Natürlich! Bemerkenswert ist, dass der Saldo entschieden positiv war. Reines Gold muss vielleicht, damit es von Dauer ist, legiert werden, und in großer Eile produzierte Legierungen können möglicherweise schädliche Elemente enthalten. Sinnlose Dummheit war ein beständiger Faktor, zu verschiedenen Zeiten gab es ziemliches Fallobst auf unterschiedlichen Hierarchieebenen und dergleichen. Das goldene Zeitalter von IBM war nie ein Paradies. Doch ich glaubte immer, persönliche Freiheit sei sehr teuer, wenn nicht unschätzbar wertvoll. Ich zahlte diesen Preis und bekam von IBM etwas dafür zurück. Ein fairer Handel?

Wie man bei IBM überhaupt dazu kam, mich einzuladen
    Nach meinen speziellen Lebenskriterien war die Kausalkette, die mich zu IBM brachte, recht kurz und ohne ungewöhnliche Verwindungen. Während meiner Zeit als Postdoktorand in Princeton lernte ich in der Cafeteria Manfred Kochen (1928–1989) kennen. Der jüngere Mann hatte einen ähnlichen Hintergrund und Ehrgeiz wie ich. Er ging zu IBM, als die brandneue Forschungsabteilung unablässig einstellte und üppig dafür Reklame machte. Als er hörte, dass ich den Sommer 1957 an der Cornell University im Staat New York verbringen wollte, brachte mich Fred zu einer provisorischen Einrichtung – vorgeblich wegen einer Vorlesung, doch in Wahrheit war es eine Mischung aus Befragung und Verkaufsgespräch.
    Freds Vorgesetzter war der Physiker »Michael« Satoshi Watanabe (1910–1993), bei dessen Dissertation in Paris Louis de Broglie Vorsitzender gewesen war. Watanabes Vorgesetzter wiederum war Nathaniel Rochester (1919– 2001) – dem Ingenieur kam das Verdienst zu, bei IBM so etwas wie einen Nachbau des von Neumann’schen Princeton-Computers geschaffen zu haben. Sie benötigten Personal für ein noch nicht ausgereiftes Projekt zur Übersetzung in Maschinensprache, und ich war einer der seltenen ungebundenen Leute mit einem guten Namen wegen meiner Arbeit in der Linguistik. Ich sagte ihnen aber, dass in Lille ein sehr schöner Job auf mich wartete und auch meine Interessen sich verlagert hätten. Sie erwiderten, dass sie auf jedem Gebiet gute Leute benötigten, änderten ihr Angebot jedoch widerstrebend auf regelmäßige Gastvorstellungen im Sommer ab, die 1958 beginnen sollten.

Wie ich mich damit abfand, zu IBM zu gehören
    1958 litt IBM unter seinem alten und einst sorgfältig gepflegten Ruf, äußerst provinzielle und paternalistische Beziehungen zu seinen Mitarbeitern zu unterhalten: Firmenlieder, weißes Hemd und dazu die richtige Krawatte waren zwingend vorgeschrieben. Fast übergangslos begann man dann, in aller Eile völlig anderes technisches Personal

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