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Schönes Chaos: Mein wundersames Leben (German Edition)

Schönes Chaos: Mein wundersames Leben (German Edition)

Titel: Schönes Chaos: Mein wundersames Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benoît B. Mandelbrot
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Jahren (und einigen Tagen), in denen ich bei IBM beschäftigt war, und die teilweise damit zusammenfallenden 17 Jahre, in denen ich als Professor in Yale arbeitete. Diese Jahre sind mir als goldenes Zeitalter in Erinnerung geblieben – nicht nur für IBM und mich, sondern auch für die Naturwissenschaften. Ich möchte noch weiter gehen und mit lauter Stimme behaupten: auch für den menschlichen Geist. Was uns Menschen zu Menschen macht, ist unsere Fähigkeit zu sprechen – und Neues hervorzubringen.
    Ich fand Erfüllung in scheinbar weit auseinanderliegenden Themen, die keinem üblichen Muster folgten und daher weithin als bizarr angesehen wurden – und häufig nicht willkommen waren. Keine andere mir bekannte Institution hätte das Unternehmen IBM, wie ich es erlebt habe, ersetzen können.

21
Bei IBM Research während eines goldenen Zeitalters in den Naturwissenschaften
    (1958–1993)
    Der 20.Juni 1958 war ursprünglich als Beginn einer Sommervisite bei IBM eine Stunde nördlich von New York City gedacht gewesen. Aliette, der kleine Laurent und ich flogen von Paris nach New York. Wir drei passten mitsamt unseren Koffern problemlos in ein Taxi. Der Jetlag machte diesen Tag sehr lang und anstrengend – auch wenn er fast nur aus Routine und Langeweile bestand. Doch der Schein trog.

Ein Sommerjob wird zur Lebensaufgabe
    Es war ein Zufall, der mich 1958 für diesen Sommerjob zu IBM brachte. Doch wenige Wochen nach meiner Ankunft änderte ich meine Meinung und beschloss zu bleiben. Als ich 1993 in den Ruhestand ging, hatte meine offizielle Bindung an IBM annähernd 35 Jahre gedauert, in denen das Unternehmen sich mit Naturwissenschaften befasst hat. Ich blieb weder wegen des Gehalts noch aus feinsinnigen Überlegungen. Ich blieb aus purer Notwendigkeit – so sah ich das damals zumindest nach einer Belegschaftskonferenz, die unser Oberboss Emanuel Piore (1908–2000), der Forschungsleiter von IBM, einberufen hatte.
    Manny leitete das Meeting mit folgender Bemerkung ein: »Ich höre Gerüchte über großes Unbehagen in der Truppe. Viele scheinen sich zu fragen, warum wir sie eingestellt haben. Sie sind besorgt wegen des ständigen Wirbels? Wann wird die Geschäftsführung zur Ruhe kommen, und wann wird man Ihnen genau sagen, woran Sie tatsächlich arbeiten sollen? In Wahrheit gibt es da keinerlei Geheimnis.«
    Mit dem, was er dann sagte, bestätigte er genau meine eigene Interpretation der Situation.
    »Die meisten von Ihnen haben gerade ihren Doktor gemacht und glauben, dass es die höchste Berufung sei, mit Ihrem früheren Betreuer darum zu wetteifern, Ihrer Dissertation Fußnoten hinzuzufügen. Sie werden jedoch bald feststellen, dass reine wissenschaftliche Forschung im Alltag ein sehr harter und in den meisten Fällen undankbarer Job ist. In Ihrer Arbeit haben Sie nie genug Zeit, das zu tun, was Sie gern möchten, und Ihre Frauen beklagen sich, dass Sie die Samstagvormittage ins Labor gehen, statt mit den Kids Ball zu spielen. Sollten Sie Ihrer Frau dadurch eine Freude machen wollen, dass Sie besser bezahlt werden und abends ohne Aktenkoffer nach Hause kommen, brauchen Sie das nur zu sagen. Das Personal der IBM-Entwicklungslabore im Staat New York muss enorm aufgestockt werden. Viele erstklassige Jobs flehen darum, besetzt zu werden. Aber vielleicht haben Sie ja angebissen und wollen in der wissenschaftlichen Forschung weitermachen. Schön, auch dann können wir Ihnen die Auswahl zwischen beliebig vielen aufregenden und gut entlohnten Aufgaben anbieten. Einige von Ihnen träumen vielleicht sogar davon, große Wissenschaftler zu werden. Wunderbar! Wir können uns locker ein paar große Wissenschaftler leisten, die ihr eigenes Süppchen kochen.«
    Ich erinnere mich noch an eine außerordentlich große Aufregung und ein Gefühl von Erleichterung und Hoffnung, als ich das hörte. Da ich zu jener Zeit in der Stimmung war, hoch zu pokern, war das Durcheinander bei IBM ein entscheidender Anziehungsfaktor. Eine Ordnung, wie ich sie aus Frankreich kannte, war das Letzte, was ich wollte. So oder so, ich fühlte mich durch meine eigenen Träume hinreichend stimuliert. Also setzte ich auf IBM, während IBM auf mich setzte. Es war für beide Seiten ein Erfolg, und diese Erfolge waren nicht unabhängig voneinander.
    Manny Piores Worte hatten mich überzeugt – worauf ich meinerseits Aliette überzeugte –, dass es das Beste wäre, bei IBM zu bleiben, vielleicht für dieses eine Jahr. Bald wurde klar, dass ich mich darauf

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