Schönes Chaos: Mein wundersames Leben (German Edition)
Sicherheitshysterie
Jahrelang besaß die Forschungsabteilung keinen Computer. Aber für ein paar Stunden täglich konnte sie sich in Poughkeepsie, New York, einen mieten. Selbstverständlich waren die Programme in Lochkarten gestanzt und wurden mit einem zwischen Westchester und Poughkeepsie pendelnden Kombi befördert, was mehrere Stunden dauerte. Ein peinlich schwerfälliger Vorgang, aber er funktionierte. Der Lochkartenstapel ging morgens nach Poughkeepsie und kam abends zurück – meist mit der Nachricht, man habe einen schrecklichen Programmierfehler korrigieren müssen. Am nächsten Tag schickte man ihn wieder hin und so weiter.
Ein Kollege verwendete unglaublich viel Zeit auf dieses Verfahren. Für die Berechnung astronomischer Tabellen nach dem babylonischen Himmelsmodell schwitzte Bryant Tuckerman Blut und Tränen. Ich wagte zu fragen, was diese Eile überhaupt solle. Diese Berechnung hatte schließlich schon einige Tausend Jahre gewartet, und es würde wohl kaum einen Unterschied machen, wenn er auf den schnelleren Computer wartete, der bald in Yorkstown eingerichtet werden sollte. Doch Bryant ließ sich nicht davon abbringen und produzierte ein ungeheures Dokument. Am Ende tippte eine Reihe von Sekretärinnen die vom Computer ausgeworfenen Daten in einer druckfähigen Form ab, und die American Philosophical Society brachte es dann als gewaltiges Buch heraus. Ich fürchte, dass nur sehr wenige Exemplare verkauft oder benutzt worden sind. Aber diese Bemerkungen sind alles andere als kritisch gemeint. Die Zähigkeit meiner Kollegen, die als Erste einen Computer zähmten, kam allen wie ein reines Wunder vor.
Auch in der schrägen Geschichte darüber, wie Passwörter nach Yorktown kamen, hat Bryant eine Rolle gespielt. Ja, es gab einmal eine Zeit, in der unsere Computer kein Passwort benötigten! Genau zu dieser Zeit lernte der Mathelehrer meines älteren Sohns das Programmieren und brachte es seinen Schülern bei. Nachdem es ihm nicht gelungen war, ein bestimmtes Programm zum Laufen zu bringen, bat er meinen Sohn, einen Experten zu konsultieren – mich! Ich musste Bryant um Hilfe bitten. Er loggte sich in meinen Zugang ein, schrieb in kürzester Zeit das Programm und druckte für meinen Sohn und seinen Lehrer ein Blatt im Format eines Briefbogens aus.
Ein paar Monate später wurde ich in der Halle vom Computermanager aufgehalten. »Ich wundere mich: Von der für die Forschungsabteilung verfügbaren erheblichen Computerzeit nutzen Sie allein schon die Hälfte. Ich habe Sie immer für einen Theoretiker gehalten.« – »Das wundert mich genauso, weil ich schon vor ein paar Wochen mit dem Programmieren für eigene Zwecke aufgehört habe.« – »Wie kommt es dann, dass Sie ihn so viel nutzen?« Wie eine Überprüfung ergab, bestand meine Nutzung überwiegend aus winzigen Programmen, die Schüler der High Schools überall im umliegenden Westchester County laufen ließen. Zumindest einer von ihnen war sehr findig gewesen und darauf gekommen, dass ein Nutzer nur meinen Namen in ein Kästchen eingeben musste, um mit dem größten damals verfügbaren Computer verbunden zu werden – ohne jede Gebühr.
Das war der Moment, in dem das Personal des Rechenzentrums Passwörter ausgab. Somit kann ich mich rühmen (wenn das hier der passende Ausdruck ist), dass ich der Auslöser für eine Kontrollinstanz war, die diesen Wandel repräsentiert. Aber natürlich sind Passwörter an vielen Orten aufgekommen, und auch bei IBM Research wäre die Wende auch ohne mich bald eingetreten.
Computergrafik ohne Grafikprogramme bei IBM
Als meine Bücher – und dann die fraktale Kunst – anscheinend allgemein bekannt wurden, lobte kaum jemand mein gutes optisches Wahrnehmungsvermögen. Stattdessen verbreitete sich der Eindruck, ich sei – nur weil ich bei IBM war – der passive Nutznießer eines ganz besonders unfairen Wettbewerbsvorteils.
In Wahrheit war ich das nicht. Viele andere Labore hatten Grafikprogramme auf Lager, doch als ich 1958 bei IBM anfing, produzierte IBM nichts dergleichen, und es war schwieriger, diese Werkzeuge von außerhalb zu bekommen, als selbst zu improvisieren. Auf dem Weg, mir den unvorhergesehenen Status eines Pioniers der Computerarbeit zu erwerben, war ich also gezwungen, die Dinge unablässig voranzutreiben. Es gehörte stets zu meiner Vorstellung von einem Überlebenskünstler, allein etwas voranzubringen.
Bis die Computergrafik verfügbar wurde, dauerte es sogar länger als bei FORTRAN. Ende der
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