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Schönes Chaos: Mein wundersames Leben (German Edition)

Schönes Chaos: Mein wundersames Leben (German Edition)

Titel: Schönes Chaos: Mein wundersames Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benoît B. Mandelbrot
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1960er-Jahre half mir das primitivste Programm dabei, die ersten Küstenlinien künstlicher fraktaler Inseln zu zeichnen. Unser Programm simulierte das gesamte Relief. Diese »Fälschung« konnten wir nicht visualisieren, aber es war möglich, sich die Küstenlinie bildlich vor Augen zu führen. Wir arbeiteten mit einem Gitter aus 64 mal 64 Pixeln, und als ersten Schritt mussten wir alle Pixel weglassen, die – zusammen mit ihren unmittelbaren Nachbarn – entweder über oder unter dem Meeresspiegel lagen. Die nicht betroffenen Punkte definierten eine ungefähre Küstenlinie. Als Ausgabegerät diente eine gewöhnliche elektrische Schreibmaschine, und die Überlegung war, den Küstenverlauf durch eine Überlagerung der Buchstaben M, W und O (oder so ähnlich) auszudrucken. Nachdem ich diesen Ausdruck fotokopiert hatte, schwärzte ich das Inselinnere mithilfe eines Filzschreibers.

© Jean Louis Oneto

    Der Aufwand war heroisch, weil die zum Tippen jener Buchstaben M, W und O erforderliche »Software« nicht sauber dokumentiert war. Außerdem war der Zwischenspeicher winzig: Wenn das Programm 64 Bytes gedruckt hatte, hielt es an – bis jemand persönlich auf »Eingabe« drückte. Verzweifelt bat ich meinen Assistenten, das zu übernehmen und solange weiterzumachen, bis die Ausgabe vollständig war. Als ich nach Hause ging, blieb er da. Am nächsten Morgen erwartete mich der gewünschte Ausdruck.
    Ein weiterer früher Apparat wurde von einer kleinen Firma namens Calcomp hergestellt. Er bestand aus einem Papierbogen, der um einen Zylinder rotierte, und einer Schreibfeder, die entweder angehoben oder auf das Papier gesenkt werden konnte, sich aber nur entlang der Zylinderachse bewegen konnte. Ein Programm fasste die Bewegungen von Schreibfeder und Zylinder zu einem quälend langsam ablaufenden Vorgang zusammen, und es konnte nur eine begrenzte Zahl von Mustern zeichnen. Wir nutzten das Gerät weit über seine ursprüngliche Auslegung hinaus.
    Auf lange Sicht wurden die mechanischen Grafikgeräte um 1970 herum durch elektronische abgelöst. Damit konnte eine auf dem Großrechner entwickelte Figur auf einen sehr klapprigen Spezialcomputer übertragen werden, was es möglich machte, sie im Labor mittels einer Kathodenstrahlröhre wie mit einem normalen Fernsehbildschirm zu untersuchen. Ein spezielles Zusatzgerät erlaubte es, den Bildschirm mit einer Polaroid-Kamera zu fotografieren. Die ersten auf diese Weise erhaltenen Bilder sind die frühesten fraktalen Bergreliefs.
    Ein drittes Grafiksystem hieß »Labelgraph«. Es erblickte durch glückliche Umstände das Licht der Welt, als IBM Anfang der 1970er-Jahre einen unter einem schlechten Stern stehenden Ausflug in den computergestützten Schriftsatz abbrach und einige Kollegen und ich das System von Schwarz-Weiß auf 64 Graustufen erweiterten.

    © Sigmund Handelman
    Um die geografische Abgeschiedenheit Yorktowns auszugleichen – und der Welt besser zu vermitteln, dass es uns gab –, wurde ein ständiger Strom von Besuchern dazu eingeladen, Vorträge zu halten, Unterhaltung zu bieten oder Unterricht zu geben. Nie konnte man ein überzeugendes Bild zeigen, und für mein Leben gern wäre ich zur Farbgrafik übergegangen, doch meine unmittelbaren Vorgesetzten würgten mich ab: IBM war nicht im Geschäft mit Grafikausrüstung, und es war schwierig, sich Produkte von Konkurrenten zu verschaffen.

© Richard F. Voss

    1976 meldete der Flurfunk eines Tages, ein externer Lieferant habe einem Kollegen der Entwicklungsabteilung die Farbgrafik-Einrichtung unserer Träume installiert. Ich rief ihn auf der Stelle an und schaute auf ein paar Worte bei ihm vorbei. »Könnten wir an diese Maschine ran, und wenn ja, wann und wie oft?« – »Sehr gern, aber ich muss Sie darauf hinweisen, es ist absolut keine Software vorhanden. Ich kann zwar einen Systemprogrammierer dafür anfordern, aber es dauert sechs Monate, bis ich einen bekomme. Dann dauert es noch einmal sechs Monate, bis die Software geschrieben ist. Kommen Sie doch in einem Jahr wieder vorbei.« – »Nun, äh – wir haben es eigentlich ein wenig eilig. Könnten wir vielleicht den Codeschlüssel Ihres Labors haben und am kommenden Wochenende vorbeischauen, um Ihr Spielzeug kennenzulernen?« – »Warum nicht?« Und so übergab er, ehe er am Freitag ging, den Code an meinen sehr eng vertrauten Kollegen Richard Voss. Der machte sich sofort an die Arbeit und legte vermutlich nicht einmal eine Schlafpause ein. Doch am Montag war

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