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Schönes Chaos: Mein wundersames Leben (German Edition)

Schönes Chaos: Mein wundersames Leben (German Edition)

Titel: Schönes Chaos: Mein wundersames Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benoît B. Mandelbrot
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einen Beitrag zur schlichten Mathematik oder Physik zu leisten. Gut … am Ende tat ich es doch – sehr spät in meinem Leben und mit Rachegefühlen.
    Obwohl sorgfältig durchdacht, war meine Dissertation »technisch« schlicht und unvollkommen geschrieben. Sie passte kaum zu meinen Ambitionen – aber nur, weil ich es eilig hatte und mich selbst unterschätzte. Es war einfach ganz altmodisches Glück und vielleicht auch die erlernte Fähigkeit, Probleme in Trümpfe zu verwandeln, was mich zum ersten – und für lange Zeit einzigen – mathematisch kompetenten Menschen werden ließ, der die langen Kurvenausläufer direkt anging.

Entschlossenheit, aber kein Weitblick
    Ich mochte es einfach, alles ganz allein machen zu können. Wegen meiner noch immer weithin bekannten Ergebnisse an der Normale und der Carva wurde meine Doktorarbeit angenommen, als klar war, dass sich in Paris kaum jemand für mein Thema und meine Karriere interessierte. Natürlich drängten mich meine Eltern, Szolem und viele andere in unterschiedliche Richtungen. So kam es, dass ich es – was auch geschehen mochte – auf meine Art machte.
    Ich handelte entschlossen, aber ohne Weitblick. Wie sollte ich weitermachen? Szolem hatte mich unmissverständlich vorgewarnt, ich solle mich – ehe ich ans Caltech eilte – in Paris nach einer angemessenen Kombination von Thema und vertrauenswürdigem Doktorvater umsehen, der mich für eine Weile fördern würde. Denn sonst würde mir niemand dabei helfen, eine Anstellung zu finden. Ich fragte mich allmählich, wie meine Chancen für eine angemessene akademische Laufbahn in welchem Land auch immer standen.
    War ich dabei, mich wegen meines früheren Lebens voller Erschwernisse aller Art wie ein verzogenes Kind zu verhalten? Ich hatte eine kostenlose automatische Rückversicherung. Ich war nicht nur immer noch Mitglied des schon erwähnten CNRS – der Doktortitel hatte mir auch eine Beförderung eingebracht. Nicht wenige meiner Zeitgenossen, die am CNRS geblieben sind, haben sich ruhig verhalten und sind Tätigkeiten nachgegangen, über die sie umsichtig nichts berichtet haben. Nein, demnach handelte ich nicht wie ein verwöhntes Kind. Ich wollte mich nicht verkriechen, sondern die besten Bedingungen finden, unter denen ich mir meinen lebenslangen Kepler-Traum erfüllen konnte. Träume können eine Last sein.

15
Als Postdoktorand auf großer Tour: Anfänge am MIT
    (1953)
    Ich erinnerte mich, mit anderen Carva -Absolventen gesungen zu haben: Gaudeamus igitur, juvenes dum sumus – »Lasst uns also fröhlich sein, solange wir noch jung sind.« In meinem Fall bedeutete fröhlich sein nicht, sich zu betrinken. Es lief zunächst auf eine höchst unorthodoxe Doktorarbeit hinaus, die in kühner Weise jener Art von Arbeit Geltung verschaffte, die ich fortzusetzen hoffte. Später bedeutete es eine moderne Variante einer anderen mittelalterlichen Tradition: Lehrjahre eines fahrenden Scholaren, die ich als meine »große Tour als Postdoc« ansehe. Während dieser Zeit arbeitete ich bei den beiden herausragenden Vorbildern, denen meine These gewidmet war; diese Mathematiker höchsten Ranges hatten wiederholt den Kepler’schen Traum verwirklicht, dem ich nacheifern wollte.
    Der erste war Norbert Wiener, Professor am MIT, dem Massachusetts Institute of Technology in Cambridge. Er hatte ein außergewöhnliches Buch verfasst, das ich sehr bewunderte: Kybernetik. Regelung und Nachrichtenübertragung in Lebewesen und Maschine. »Kybernetik« war ein Wort, das Wiener gerade geprägt hatte, und der Titel definierte für dieses Wort eine Bedeutung, die vom Gehirn bis zur Telefon-Schaltzentrale reicht.
    Der zweite war John von Neumann, ein Professor am IAS, dem Institute for Advanced Study in Princeton. Nach der Zeit am MIT wurde ich von Neumanns letzter Postdoc. Er hatte zusammen mit Oskar Morgenstern das Buch Spieltheorie und wirtschaftliches Verhalten verfasst. Beide Titel versprachen neue Grenzen und neue Themen – oder zumindest neue Kombinationen bereits existierender Themen.
    Der Titel meiner Dissertation lautete Jeux de communications (Kommunikationspiele), was meine Verehrung für die beiden Männer ein wenig zu sehr betonte – ich nahm sie wahr, als seien sie aus Sternenstaub gemacht. Die beiden Männer waren der einzige lebende Beweis, dass mein Kepler-Traum kein leerer Wahn war – dass es möglich war, erfolgreich einen neuen mathematischen Ansatz für sehr alte und sehr konkrete, mehrere Disziplinen

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