Schönes Chaos: Mein wundersames Leben (German Edition)
Dissertation vorgestellte Theorie der Worthäufigkeiten.
Weit eindrucksvoller war jedoch sein zentraler Lehrsatz zum Rauschen in einem Informationskanal. Eigentlich war es gar kein richtiger Lehrsatz, nur eine brillante Vermutung – in einem umstrittenen Stil, dem schließlich auch ich mich anschloss. Der Knackpunkt? Selbst ein beliebig stark rauschender Kanal kann auf eine Weise programmiert werden, dass Informationen mit der annähernd gewünschten Perfektion zu übermitteln sind.
Shannons Vermutung war schlicht und einfach ein sehr wichtiges Ereignis, aber sein Beweis war unvollständig. Wenn man die Jahre einbezieht, in denen Shannons Arbeit der Geheimhaltung unterlag, kam ein zunehmend klarer und allgemeiner Beweis nur langsam zustande. Die Informationstheoretiker nahmen das lediglich als kleines Ärgernis wahr. Doch die Mathematiker rümpften die Nase und stellten fest, dass Shannons Lehrsatz vom Rauschen in einem Informationskanal unbewiesen war.
Bei einem späteren Besuch am MIT wirkte ich beim ersten Beweis dieses Lehrsatzes mit, als Amiel Feinstein – ein Doktorand in Physik – sich mit mir traf. Er suchte ein neues Thema in Elektrotechnik, das eine rasche Dissertation versprach. Seine arrogante Art irritierte mich für einen Moment, und so blaffte ich ihn an, er solle versuchen, Shannons kühne Behauptung zu beweisen. Ich erklärte die Frage, nannte die Namen von Leuten, die sich sehr angestrengt hatten und elend gescheitert waren, und wünschte ihm viel Glück. Kurz darauf kam er mit einem Beweis zurück! Vom Stil her war es durchgängig reine Mathematik, niedergeschrieben von einem ungehobelten Lehrling ohne Supervision. Sein Beweis wurde geprüft und für korrekt befunden, und als er ihn ein wenig aufpoliert hatte, brachte er ihm einen Doktortitel in Physik ein. Aber er erhielt nur wenig Anerkennung, und bald fiel er aus dem wissenschaftlichen Konkurrenzgedränge heraus. Die entscheidenden Verdienste blieben bei Shannon. Das war gerecht.
Noam Chomsky und Lászlo Tisza
Meine erfreulichsten Erinnerungen an das RLE stammen aus einem Gebiet, das wohl niemand am industrienahen MIT und im zerbröselnden Haus 20 erwartet hätte. Claude Lévi-Strauss, der herausragende Anthropologe, mit dem ich in Paris gearbeitet habe, hatte mich seinem engen Freund, dem Linguisten Roman Jakobson (1896–1982), empfohlen. Anschließend traf ich einen Junior-Stipendiaten von Harvard, Noam Chomsky, und erfuhr von seinem Projekt für die Zukunft der Linguistik. 1953 war das ein kühner Traum – Welten vom Mainstream der damaligen Forschung entfernt. Wie viele andere fragte ich mich, ob und wo die neue Linguistik einen Unterschlupf finden würde, wo sie überleben und gedeihen konnte. Chomskys extrem linke und oft wiederholte Einstellungen zu breiten politischen Themen verschlechterten zudem die Chancen. Es ist Jerry Wiesner hoch anzurechnen, dass er der Linguistik am MIT eine Heimat bot – dort hätte man es zuletzt erwartet. Chomsky blieb da und stieg sogar zum Professor des Instituts auf. Die Zeit, die ich in der Zusammenarbeit mit Linguisten zubrachte, war wundervoll und lehrreich, und sie hat mir viele dauerhafte Freundschaften eingebracht. Roman Jakobson wünschte, dass ich nicht länger nach neuen Kepler-Aufregungen suchte und mich stattdessen in der Linguistik niederließ. Doch je länger ich mir das ansah, desto klarer zeigte sich, dass die Linguistik von Chomsky beherrscht werden würde. Bald konnte ich ihn und seine Anhänger von einem großen Thema überzeugen: Zipfs Gesetz war die Grundlage eines bedeutsamen, an die Physik angelehnten (thermodynamischen) Aspekts des Sprechens, während die Grammatik eine Art Chemie oder Algebra der Sprache darstellt. Wie geplant zog ich weiter – wenn auch erst, nachdem ich eine kleine Kostprobe bekommen hatte, wie es sich anfühlt, bewundert, enttäuschend gefunden oder geschmäht zu werden, weil man von Sprache redete, ohne die Kultur zu erwähnen.
Wenn man von Fällen extremer Langlebigkeit absieht, besteht die Freundschaft mit einem älteren Kollegen in der Regel nur für kurze Zeit. Insofern ist es ein seltenes Privileg gewesen, dass meine Freundschaft mit dem Physiker Lászlo Tisza (1907–2009) weit länger als üblich gedauert hat. Da er am 07.07.07 geboren wurde und mir zum nächsten 07.07.07 meine einzige Chance lieferte, mit jemandem zu sprechen, der die Schwelle des 100. Lebensjahres überschritt, bin ich ihm sehr verpflichtet.
Der Mann war von kleinem Wuchs,
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