Schönes Leben noch! (German Edition)
Samstag nach Hause gekommen war, hatte sie eine Nachricht von ihrer Tante vorgefunden, in der stand, dass sie und Rudy für das restliche Wochenende nach San Francisco gefahren seien und dass Jill sich keine Sorgen machen solle. Jill hatte Rudy mehrmals angepiepst, doch der hatte sich nicht die Mühe gemacht, sich bei ihr zu melden.
Vermutlich konnte er sich denken, dass sie nicht gut auf ihn zu sprechen war. Wie konnte er es wagen, ihr weiszumachen, dass er sich in der Stadt nur ein wenig erholen wollte, wenn er in Wahrheit eine illegale Spielhölle auf die Beine stellte? Vielleicht wollte sie den Rest ihres Lebens nicht in Los Lobos verbringen, aber sie würde mit Sicherheit nicht dabei zusehen, wie Rudy die Stadt zerstörte.
Außerdem hatte er sie verraten. Und diese bittere Wahrheit konnte sie einfach nicht ignorieren, so gerne sie es auch wollte. Sie kannte Rudy nun schon seit knapp drei Jahren, und in der ganzen Zeit war er stets ehrlich zu ihr gewesen. Es hatte nicht den kleinsten Hinweis auf illegale Aktivitäten gegeben. Die Geschäfte, die sie juristisch betreut hatte, waren Paradebeispiele dafür gewesen, wie man auf der richtigen Seite des Gesetzes blieb, so sauber waren sie.
Hatte er sie für dumm verkauft? Okay, theoretisch war sie zwar nicht mehr seine Anwältin, aber hatte er ihr nicht versichert,ihr wieder Aufträge zu geben, sobald sie einen neuen Job gefunden hätte? Sie hatte fest mit den drei Millionen in der Bilanz gerechnet, um ihrem neuen Arbeitgeber ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern. Aber so wie die Dinge lagen, würde das nun nicht mehr passieren. Es war eine Sache gewesen, Rudy zu vertreten, als er – nach ihrem Wissen – absolut rechtschaffen gewesen war. Doch nun, da sie aus erster Hand von seinen illegalen Machenschaften erfahren hatte, wollte sie nichts mehr mit ihm zu tun haben.
Sie stieg aus ihrem Wagen und ging zur Eingangstür. Na ja, im Grunde wusste sie es gar nicht aus erster Hand, aber sie war davon überzeugt, dass Mac nicht log, und das bedeutete …
Die Tür war offen. Einen Augenblick lang dachte Jill, es könnte jemand eingebrochen sein, aber dann nahm sie den Duft von Kaffee wahr und hörte jemanden summen. Hatte Tina beschlossen, ausnahmsweise einmal zu einer anständigen Zeit da zu sein?
Jill ging hinein. Und tatsächlich saß ihre Assistentin/Sekretärin/Rezeptionistin bereits hinter ihrem Schreibtisch und war in die Arbeit vertieft. Der Drucker spuckte ein Blatt nach dem anderen aus, der Kopierer raste so schnell hin und her, dass der Sockel nur so wackelte, und – Überraschung! – das „noch nicht bearbeitet“-Fach in dem Ablagekorb war leer.
„Morgen“, begrüßte Tina sie fröhlich, als Jill vorsichtig hereinkam.
Hatten vielleicht Außerirdische Tina entführt und sie durch eine muntere Doppelgängerin ersetzt?
„Morgen. Seit wann sind Sie denn schon hier?“
„Seit acht. Mein Mann bleibt heute Vormittag zu Hause bei den Kindern, und da dachte ich mir, ich fange früh an.“
Jill war sprachlos. Als sie zu ihrem Büro ging, bemerkte sie mehrere Kisten, in denen – ihr stockte der Atem – lauter Fische lagen. Fische, die nicht mehr an den Wänden hingen. Ja, es bestand ein regelrechter Fischmangel.
„Sie nehmen sie ab?“, fragte sie und bemühte sich um einen beiläufigen Tonfall, während sie am liebsten einige eingerosteteCheerleader-Choreografien ausgegraben und so laut geschrien hätte, als ob sie gerade die Heimmannschaft anfeuerte.
„Ja. Ich habe mit Mrs Dixon telefoniert, und sie ist damit einverstanden, dass wir sie abnehmen und ihr bei Gelegenheit vorbeibringen.“
„Hört sich gut an“, meinte Jill, während sie ihr Büro betrat und wie angewurzelt stehen blieb.
Hier gab es so gut wie gar keine Fische mehr, und auch das Fischernetz war verschwunden. Außerirdische, sagte sie sich. Dahinter mussten Außerirdische stecken. Oder irgendein Kult.
Sie legte ihre Handtasche ab und ging zurück in den Empfangsbereich. „Also, ich werde nach wie vor die Stadt verlassen. Es stehen noch einige Bewerbungsgespräche an, und zwei Angebote habe ich schon ausgeschlagen.“
Tina lächelte. „Ich weiß. Es ist wirklich schade, dass Sie gehen müssen. Sie haben so viel für die Stadt getan.“
Ihr Lächeln war aufrichtig, ihre Pupillen waren nicht geweitet, und Jill konnte auch nicht erkennen, dass irgendwo Hörner herausragten. Also was war los?
„Ach ja, auf Ihrem Schreibtisch steht ein FedEx-Paket.“
„Danke.“ Jill ging wieder
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