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Schönesding!

Schönesding!

Titel: Schönesding! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Boehm
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*
     
    Danach habe ich Felder zwei Wochen nicht gesehen. Ich ging jeden Tag zur Uni. Am Abend sprach ich mit Luise. Von Felder hielt ich mich fern. Wenn ich ihn im Gang traf, hatte ich mir überlegt, würde ich knapp mit ihm plaudern, aber noch mal zu ihm reingehen würde ich nicht.
    Als ich ihn jedoch am nächsten Freitag Nachmittag im Treppenhaus traf, waren meine guten Vorsätze schon wieder dahin. Felder und Hubsi waren beide mit Plastiktüten beladen und schraubten sich langsam die Treppe hoch.
    Als Felder mich sah, warf er gleich seine Tüten auf den Boden, fischte ein Bündel frischer Kräuter heraus und wedelte mir damit unter der Nase herum.
    „Hier, riech mal, frischer Koriander. Gibt's was Besseres?“
    Er sprudelte schon wieder so vor guter Laune wie eine Flasche frisch geöffneter Sekt. Es war schwer sich davon nicht anstecken zu lassen.
    „Schmeckt super und hilft der Verdauung. Kommste morgen mit in den Nahen Osten?“
    „ Wohin! Ich kann nicht wegfahren.“
    „ Ach, Quatsch. Ist nicht weit.“
    Was Felder wirklich meinte, war nicht der Nahe Osten, sondern der nahe Osten. Oder genauer gesagt, die Plattenbaustädte, die Berlin im Nordosten einrahmen. Er nötigte mir ein paar Blätter frischen Koriander auf - „Hier, musste probieren!“ - und erklärte mir, in Russland nennt man die Gebiete, die früher einmal zur Sowjetunion gehört haben, das Nahe Ausland – im Gegensatz zum fernen, feindschaftlichen.
    Er steckte selbst ein paar Blätter Koriander in den Mund und sprudelte dann weiter. „Marzahn fühlt sich fast an wie Ausland, verstehst du? Kleines Ausland, wirste sehen.“
    Er packte den Koriander weg, machte wieder eine seiner ausladenden Gesten mit den Händen. „Du fährst ne halbe Stunde mit der S-Bahn, aber wenn du aussteigst, fühlt es sich an, als wärst du in einem anderen Land.“
    Das war wieder typisch Felder. In deinem Heimatland musstest du anders an die Sache herangehen, sagte er, als wir schon die Treppe hochstiegen. Er hatte sich zu mir umgedreht und sprach, ja, rief so laut, dass man es im ganzen Treppenhaus hörte. Hubsi trottete mit seinen Tüten hinter uns her.
    „ Du musst in deiner kleinen Welt auf Reisen gehen.“ Er blieb stehen und fixierte mich. „Du musst das Exotische im Gewöhnlichen suchen, das Bizarre im Bekannten.“ Er hastete weiter nach oben. „Du musst nur einen Schritt zurücktreten, sonst wirst du es nie sehen, verstehst du?“
    Ich war nicht ganz sicher, ob ich das verstand.
    Auf jeden Fall mussten wir aber deshalb am Samstag nach Marzahn fahren. Die Alternative wäre gewesen, mich hinzusetzen und die Einführung von Assmann zu lesen. Schwere Entscheidung. Aber ich war gar nicht in die Verlegenheit gekommen, sie zu treffen. Denn schon gleich als Felder erklärt hatte, dass er mit dem nahen Osten Marzahn meinte, hatte ich Ja gesagt. Darüber nachgedacht habe ich erst später.
    Als ich am Samstag an Felders Tür klopfte und hineingebeten wurde, nahm Hubsi gerade das Bettuch vom Sofa und räumte seine Bettdecke zur Seite. Felder lief schon aufgekratzt mit einer Tasse Tee durch die Gegend und sagte, er könne es nicht erwarten auf Reisen zu gehen. Also fuhren wir nach Marzahn.

* 14 *
     
    Wir tasteten uns die rostige Treppe des S-Bahnhofes Marzahn nach unten und auf einmal waren wir in Marzahn-Ghetto. An einer dünnen Straße lehnte die alte Volkshochschule wie deine tote Tante. Gab es hier noch Leben hinter den blinden Scheiben? Fast alle ihre Fenster waren mit massiven Stahlgittern verbarrikadiert. An anderen Stellen waren die Fensterscheiben eingeworfen. Im Vorgarten wucherten mannshoch die ungebetenen Stauden der Taiga.
    Dahinter lockte vorstadt-lüstern ein Industriegebiet: ein Autohaus, Autoteile, eine Rein-und-raus-fahr-Station einer Hamburger-Kette, und darüber strahlte grau und leer der Berliner Himmel.
    Gegenüber sah es aber auch nicht besser aus. Von dem irgendwo zwischen altblutrot und schlag-mich-tot-rosa gestrichenen Betonblock blätterte die Farbe wie abgekratzter Schorf. Auch hier waren viele Fensterscheiben zerbrochen oder mit kruden Holzlatten vernagelt. Dort war es so dunkel. War auch dieser Block den Kräften der Unendlichkeit geweiht? Denn er sah ja auch so aus, als hätte irgendjemand schon angefangen Rohre, Leitungen und Kabel auszuwaiden, um sie auf dem Altmetall-Markt zu verschleudern.
    Dann jedoch machte im obersten Stockwerk eine Frau das Fenster auf und wrang ein buntes Kopftuch aus. Sie war gerade beim Waschen, scheint's,

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