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Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)

Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)

Titel: Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Englund
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zwischen Thiaumont und Fleury zurückerobern, der kürzlich verloren ging, in der Nähe der Stellung, die sie Anfang Juni verteidigt haben. Der Oberstleutnant versucht seine Offiziere auf dieselbe Weise aufzumuntern, wie Arnaud es bei seinen Männern versucht hat, mit demselben bescheidenen Ergebnis. Arnaud sieht, wie angespannt der Regimentschef ist, beobachtet, wie er den Kiefer zusammenpresst, sieht, dass er seinen eigenen Worten nicht glaubt. Arnaud ist dennoch erleichtert; sein Bataillon wird zunächst die Reserve bilden.
    Als Arnaud in den Korridor hinauskommt, sieht er rund fünfzig Männer des Bataillons, die vor einem Zimmer Schlange stehen. Dort befindet sich der zweite Bataillonsarzt, Bayet, ein rundlicher Mann mit kurzgeschorenen Haaren und großer Brille. Die Männer wollen sich krankmelden und so dem Inferno, das sie erwartet, entgehen. Alle erdenklichen Leiden werden aufgeführt: Leistenbruch, Rheumatismus, schlecht verheilte Wunden. Der Bataillonsarzt, umgeben von einer Gruppe von Männern, «die sich an ihn hängten wie Ertrinkende an einen Rettungsring», schwitzt vor Anstrengung. Später erfährt Arnaud, dass auch mehrere der höheren Offiziere des Bataillons sich krankgemeldet haben: «Es herrschte allgemeine Auflösung.»
    Am Abend trifft Arnaud den Bataillonsarzt und unternimmt einen eigenen Versuch, den er für besonders listig hält. Zuerst beklagt Arnaud sich über die Offiziere (darunter ein hochdekorierter), die sich haben krankschreiben lassen, und erklärt, dass er niemals so handeln würde, obwohl er selbst wegen seiner Herzprobleme tatsächlich Grund dazu hätte. Gleichsam beiläufig knüpft er seine Uniformjacke auf und bittet den Bataillonsarzt, ihn abzuhorchen. Arnaud hofft inständig, dass der Bataillonsarzt etwas feststellt und ihn als Krankheitsfall in die hinteren Linien schickt. Der Arzt horcht ihn ab und erklärt leicht gereizt, es sei ein Pfeifgeräusch zu hören. Danach schweigt er. Beschämt knüpft Arnaud seine Jacke zu: «Dieser Anflug von Schwäche machte es mir fortan unmöglich, andere zu verurteilen.»
    Bei Einbruch der Dunkelheit marschieren sie ein weiteres Mal aus der Zitadelle hinaus. Die Reihen schwer bepackter Männer winden sich über den Fluss, hin zu den dunklen Höhen mit ihrer glühenden Aura von Explosionen. Als sie den ersten steilen Bergrücken erklommen haben, legt Arnaud sich mit klopfendem Herzen der Länge nach auf den Boden. «Ich war erschöpft, meine Moral mehr als mein Körper. Ich glaubte, ich würde ohnmächtig, vielleicht hoffte ich sogar darauf.» Nach einem langen Marsch durch einen engen Verbindungsgraben erreichen sie einen schlichten Schutzraum, dessen Dach aus Wellblech besteht. Dort schläft er ein.
***
    In der Morgendämmerung zwei Tage später findet der Angriff statt. Er scheitert. Die Verluste sind hoch. Einer der Gefallenen ist der Regimentschef. Arnauds Einheit ist am Angriff nicht beteiligt, und er überlebt.

106.
    Ein Tag im Juli 1916
    Rafael de Nogales wird Zeuge der Erschießung eines Deserteurs in der Nähe von Jerusalem
     
    Nahezu jeden Morgen baumeln zwei, drei neue Leichen an Telegraphenmasten oder anderen improvisierten Galgen rund um die Heilige Stadt.
    Die meisten von ihnen sind Araber, die als Deserteure der osmanischen Armee aufgegriffen wurden. Diese Männer sind das direkte Gegenstück zu Rafael de Nogales: Nicht sie haben den Krieg gesucht, der Krieg hat sie gefunden. Sie repräsentieren die schweigende Mehrheit jener, die jetzt in Uniform stecken (egal welcher Farbe), sie haben sich nicht wie Nogales von den Energien und Illusionen des Krieges mitreißen lassen, sondern wurden in den Krieg gezwungen: widerwillig, unmotiviert und – nicht zuletzt – stumm.
    De Nogales blickt keineswegs auf sie herab – irgendwie versteht er die Deserteure sogar. Einmal mehr hat das osmanische Heer mit großen Versorgungsproblemen zu kämpfen, die vor allem das Ergebnis von Korruption, Verschwendung und organisiertem Diebstahl sind. Und wieder einmal hat die Unterernährung die Ausbreitung von Krankheiten, vor allem Typhus, begünstigt. Da in der gesamten Region die Lebensmittel knapp sind – was nicht zuletzt die vielen neu eingewanderten Juden der Stadt trifft, die wegen des Krieges keine Hilfe aus ihren ehemaligen Heimatländern erhalten –, hat der Typhus die Ausmaße einer Epidemie erreicht. Hunger und Heimweh trugen also dazu bei, dass die Desertionen in den arabischen Verbänden einen Höchststand erreicht haben.

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