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Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)

Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)

Titel: Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Englund
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Triumphes gesehen: Massengräber (daneben sortierten Überlebende die Stiefel, Koppeln und sonstige Ausrüstung ihrer gefallenen Kameraden in Haufen) und taumelnde Sieger (die sich an erbeutetem Schnaps betrunken hatten).
    Jetzt liegt ihre Lazaretteinheit in Bohacz, einer schönen kleinen Stadt beiderseits des Flusses Stripa. Der Ort ist vom Krieg schwer gezeichnet und von einem Teil seiner Bewohner verlassen worden, aber es gibt dort blühende Akazien. Ihre Einheit hat ein Haus besetzt, es gehörte dem österreichischen Schuldirektor der Stadt, der Bohacz mit den eigenen Truppen verlassen hat. Als Florence und die anderen das Gebäude zum ersten Mal betraten, war es bereits geplündert. Bücher, Bilder, geologische Proben und getrocknete Blumen lagen überall auf dem Fußboden verstreut. Die Österreicher, die noch im Ort sind, werden aus ihren Häusern kommandiert, zum Abtransport nach Osten. Florence hat ähnliche Szenen schon im vorigen Sommer gesehen, mit dem Unterschied, dass die Flüchtlinge jetzt vor allem Deutsch sprechen. Sie sind zu Tausenden vorbeigezogen, Menschen jeden Alters, die ihr Vieh vor sich her trieben und ihr Hab und Gut auf Karren gestapelt hatten.
    Gestern Abend hat sie assistiert, als zwei Bauchschüsse operiert wurden. Ein Bauchschuss ist eine Verwundung mit einer sehr schlechten Prognose, zumal sich lebensgefährliche Infektionen schwer vermeiden lassen, wenn der Darminhalt in die Bauchhöhle gelangt ist. Ihr imponierte die Geschicklichkeit des Chirurgen, als er die zerfetzten Darmenden abschnitt und die noch funktionierenden Teile sorgfältig zusammenflickte. Patienten, die einen Bauchschuss haben, sind besonders schwierig zu behandeln, nicht nur, weil sie so oft sterben, sondern auch, weil sie ständig nach Wasser verlangen, während man ihnen wegen drohender Komplikationen keinen einzigen Tropfen geben darf (vor allem der Blutverlust führt zu heftigem Durst). Nachdem die Eingriffe erledigt waren, blieb Florence noch in dem improvisierten Operationssaal sitzen, da sie gehört hatte, es seien weitere Verwundete zu erwarten. Dabei schlief sie, auf einem Stuhl sitzend, ein, und erwachte erst um Mitternacht.
    Gegen sechs Uhr morgens kommen neue Verwundete. Einer von ihnen ist ein junger Soldat, ein Junge noch, der am linken Oberarm getroffen wurde. Sie zieht die Kugel aus der Wunde, was erstaunlich leicht geht, weil sie so wenig Druck hatte, dass das hintere Ende noch herausragt. Der Junge weint und klagt die ganze Zeit, auch nachdem die Wunde gereinigt und verbunden ist: «Schwesterchen  43 , das tut weh!» Ein anderer hat eine sehr ungewöhnliche Verwundung. Auch er ist von einer Kugel getroffen worden, aber das Projektil prallte auf sein Schulterblatt, wechselte die Richtung, drang durch seine rechte Seite, durch den Schritt und in seinen rechten Schenkel, wo es schließlich stecken blieb. Ein dritter Patient, auch er ein junger Mann, ist voller Schmutz, Staub und getrocknetem Blut, und sie will sein Gesicht waschen:
     
«Schwesterchen», sagte mein Patient und versuchte zu lächeln. «Lassen Sie den Schmutz drauf! Ich werde keine Besuche mehr machen!» Zuerst dachte ich, er mache Scherze, und hatte schon eine schlagfertige Antwort parat. Da sah ich die tiefe Wunde an seinem Kopf und begriff, was er meinte.
     
    Später sieht sie einen der beiden Bauchschusspatienten wieder, bei deren Operation sie am Abend vorher assistiert hat. Es geht bergab mit ihm. Das Bedürfnis nach Wasser macht ihn wahnsinnig, sodass sie einen männlichen Pfleger zu Hilfe rufen muss, um den Verwundeten auf seiner Strohmatratze festzuhalten. Der Mann beginnt, irre zu reden. Sie erzählt ihm, er sei jetzt mit seinen Kameraden unten an dem großen Fluss, und dass er trinke und trinke und trinke.

103.
    Freitag, 30. Juni 1916
    Kresten Andresen hebt an der Somme Laufgräben aus
     
    Blauer Himmel. Sonnenwärme, nach Sommer duftendes Gras. Weitergraben. Andresen hat mehr Zeit mit Hacke und Spaten in der Hand verbracht als mit Gewehr und Handgranaten. Was er in keiner Weise bedauert. An vorderster Front Wache zu stehen ist anstrengend und gefährlich. Besonders jetzt, da die Briten die deutschen Linien einige Meilen entfernt einem permanenten Trommelfeuer aussetzen, offenbar als Vorbereitung auf einen größeren Angriff. Von Zeit zu Zeit fegt die Feuerwalze auch über Andresens Laufgräben hinweg, die ständig repariert werden müssen. In der weißen Kreideerde fällt das Graben sehr schwer. Das Ergebnis aber sind

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